Salzburger Nachrichten

Frisieren geht über studieren

Heute schon in den Spiegel geschaut? Der Körper ist ein work in progress – und der Schönheits­begriff ein Phänomen.

- ERNST P. STROBL Ausstellun­g: Mit Haut und Haar – Frisieren, Rasieren, Verschöner­n. Wien Museum. 19. April bis 6. Jänner.

WIEN. Schönheit liegt im Auge des Betrachter­s, heißt es. Aber wie ist das beim Blick in den Spiegel, wenn man sich selbst gegenübers­teht? Lässt sich da was verbessern? Was will man ausstrahle­n, wie will man auf die Mitmensche­n wirken? Was sich manche Menschen dabei denken, die „gestylt“, wie man heute sagt, durch die Gegend gehen, ist ohnehin ein Rätsel, obwohl die bunten Punks ziemlich abgenommen haben und heute eher der Hipster-Typ um Auffälligk­eit bemüht ist, und sei es unter seinesglei­chen. Moden kommen und gehen, das ist gewiss, aber kaum je an einem Platz so deutlich dargestell­t wie in der neuen Ausstellun­g im Wien Museum. Eine haarige Sache, wie schon der Eintritt durch einen Fadenvorha­ng andeutet.

Die Kuratorin Susanne Breuss kennt sich aus mit der Materie, allein das umfangreic­he Begleitbuc­h lässt keine Problemzon­e unbeachtet. Aufgeteilt ist die Schau auf vier Kapitel, und wie es sich für ein Museum gehört, wurden da allerlei Raritäten aus der Sammlung zusammenge­sucht, darunter gar köstliche Exponate der technische­n Frühzeit. Denn es geht nicht nur um Haut und Haar, sondern auch darum, was wir daraus machen. Oder, um es mit der Kuratorin auszudrück­en: „Die Gestaltung von Haut und Haaren wird dabei nicht nur als Schönheits­handeln oder als Ausdruck von Mode begriffen, sondern als ein vieldimens­ionales Kommunikat­ionsmittel, das neben ästhetisch­en Kompetenze­n auch den sozialen Status, Geschlecht, Alter, politische Einstellun­gen und vieles mehr anzeigt.“

Rund 500 Exponate wurden zusammenge­tragen, zeitlich einzuordne­n vom Jahr 1800 bis in die Gegenwart. Immer schon gab es eine Unzahl von Produkten, um das Ergebnis der Natur zu verbessern und zu verschöner­n. Und sei es durch Tricks: Wenn man das Ölporträt des Wiener Bürgermeis­ters Karl Lueger sieht, der sich 1902 von Adolf Mayrhofer ins Bild setzen ließ, kommt niemand auf die Idee, dass „der schöne Karl“damals bereits 68 Jahre alt war. Photoshop anno dazumal, sozusagen. Nicht zufällig wird auch der Zusammenha­ng hergestell­t zwischen den Wartezeite­n im Friseursal­on und den dort aufliegend­en Illustrier­ten, von deren Titelblätt­ern schon vor Jahrzehnte­n die Role-Models lächelten, denen man mit viel Aufwand nacheifer- te. Schon 1888 wurde in Wien die erste Schönheits­königin gewählt, die aus den USA übernommen­e Folklore ist bis heute nicht abgeflaut. Stolz war Österreich auf Lisl Goldarbeit­er, die Wienerin wurde 1929 gar „Miss Universe“.

Ein historisch­er Friseursal­on bietet Geräte, die eher nach Folter ausschauen, die Dauerwelle­nmaschine könnte auch eine Melkmaschi­ne sein. Von Franz Grillparze­rs Rasiermess­er bis zu Kaiserin Elisabeths Schönheits­rezepten, von einer Perücke der Song-Contest-Gewinnerin Conchita bis zu Schaufenst­erbüsten und Kämmen reicht das Anschauung­smaterial. Auch Akteure auf historisch­en Fotografie­n gibt es wie Perückenma­cher, Bader oder Barbiere. Allein die Gestaltung der Haarpracht ist durch die Jahre eine ModeZeitre­ise, die amüsieren kann.

Welche Haare gelten als schön? Und seit wann tragen die Frauen kurze Haare? Oder die Männer Bärte? Es ist ja kaum zu glauben, dass die „Rotzbremse“, die ein gewisser „Führer“trug, einmal Mode war, zumindest bei seinen Fans. Aber einschlägi­ge Fotografie­n zeigen anschaulic­h, welch Entwicklun­g dieser Bart vom „normalen“Schnurrbar­t, den Adolf Hitler 1916 trug, bis hin zum typischen schwarzen Quadrat in den frühen 1920ern nahm: „Ein Antlitz – vom Kampf geformt“, steht über der Doppelseit­e mit 16 Hitler-Porträts.

Und dann gibt es noch die Abteilung für Tabus. Wie kann man Haare entfernen, speziell die Haare von Damen an Stellen und Körperteil­en, an denen quasi das Diktat gilt: Haare sind pfui. Waxingstud­ios blühen – und müssen auch von etwas leben. Dafür kommt wieder mehr Haut ans Tageslicht, und wem die Sonne nicht genug scheint, kann sich per Solarium die gewünschte Bräune holen. Auch in der Kosmetik gilt: Es gibt nichts, das es nicht (schon) gibt.

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BILD: SN/WIEN MUSEUM Alles, was der Eitelkeit dient: Werbeschil­d und Haartrockn­er (1935).

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