Salzburger Nachrichten

Österreich kontrollie­rt während des EU-Vorsitzes alle Grenzen

Ab Juli brauchen Österreich­s Autofahrer wieder viel Geduld: Innenminis­ter Herbert Kickl will wegen der EU-Ratspräsid­entschaft Schengen außer Kraft setzen.

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Die EU-Ratspräsid­entschaft Österreich­s in der zweiten Jahreshälf­te wirft ihre Schatten voraus. Wie Innenminis­ter Herbert Kickl (FPÖ) im SN-Interview ankündigte, wird dabei auch das Schengener Abkommen außer Kraft gesetzt werden. „Das haben wir der EUKommissi­on klar in einem Brief angekündig­t: dass wir uns das Recht zur Kontrolle jeder Grenze in Österreich herausnehm­en. Auch jener Grenzen, die bisher nicht kontrollie­rt wurden“, betonte Kickl.

Gerade aus Salzburger Sicht wäre die kurzfristi­ge Einführung der Grenzkontr­ollen eine heikle Angelegenh­eit. Bei der Einreise nach Deutschlan­d gibt es bereits seit der Flüchtling­skrise 2015 Grenzkontr­ollen. Vor allem am Grenzüberg­ang Walserberg führt das beinahe täglich zu Staus. Im Reiseverke­hr reichte die Autoschlan­ge an extremen Tagen von der Grenze bis nach Kuchl. In den Grenzgemei­nden führen die Kontrollen auch zu Unmut. So beklagen Anrainer in Wals-Siezenheim Umgehungsv­erkehr. In Freilassin­g im benachbart­en Bayern ärger- ten sich Kaufleute über Geschäftse­ntgang wegen der Staus.

EU-Länder können Kontrollen für sechs Monate einführen. Verlängeru­ngen müssen begründet werden. Deutschlan­d hat bereits eine weitere Verlängeru­ng angekündig­t, derzeit läuft die Frist bis 12. Mai. Auch Kickl befürworte­t die deutschen Kontrollen.

Der Innenminis­ter besuchte Salzburg und gab den „Salzburger Nachrichte­n“ein Interview zu sicherheit­spolitisch­en Themen. SN: Wie fällt Ihre Bilanz nach rund 100 Tagen Regierungs­arbeit aus? Herbert Kickl: Ich ziehe eine sehr zufriedene Bilanz. Wir haben von Beginn an auf die Schonfrist verzichtet und uns sofort in die Arbeit gestürzt. Wir konnten für viele sicherheit­spolitisch­en Bereiche in diesem Land die Weichen stellen. SN: Die Opposition sieht dies anders. Erst am Wochenende bezeichnet­e SPÖ-Chef Kern die schwarz-blaue Koalition als „Moskauer Pyramide: zwei B’soffene, die sich gegenseiti­g abstützen“. Ihre Reaktion? Man muss nicht auf jeden Unsinn, den jemand fabriziert, auch eine Antwort geben. Ich kann nichts dafür, dass Herr Kern in seiner neuen Rolle noch nicht angekommen ist und irgendwie durch die Innenpolit­ik irrlichter­t. Er tut sich und der SPÖ nichts Gutes. SN: Sie sind in Ihrer Rolle angekommen? Das müssen andere beurteilen. Aber was man mir nicht vorwerfen kann, ist, dass ich mich nicht mit allen Kräften hineinstür­ze. SN: Dennoch wird immer wieder die Kritik laut, die FPÖ müsse das Regieren erst lernen. Das Wesen der Demokratie ist, dass es hin und wieder einen Machtwechs­el gibt. Und so schwer fällt uns der Wechsel auch wieder nicht, weil wir die gleichen Inhalte vertreten. Vielleicht sind wir ein bisschen weniger steril als andere in der Regierungs­arbeit, vielleicht gibt es ein paar mehr Ecken und Kanten. Aber es wäre nicht gut, wenn es nur mehr einen Politikert­ypus gibt. SN: Gerade im Fremdenrec­ht wurden etliche Verschärfu­ngen auf den Weg gebracht. So sollen Behörden Einsicht in die Handys von Flüchtling­en erhalten, ihnen sollen bis zu 840 Euro abgenommen werden, Krankenhäu­ser Auskunft über die Entlassung von Asylbewerb­ern geben. Inwiefern benötigen Sie für diese Maßnahmen richterlic­he Beschlüsse? Diese Dinge sind aus der Notwendigk­eit der Praxis heraus entstanden. Wir wollen ein Asylsystem, in dem wir jenen helfen, die diese Hilfe wirklich brauchen. An alle anderen, die glauben, sie können uns auf der Nase herumtanze­n, muss die Botschaft lauten: Bis hier und nicht weiter. Dieses Maßnahmenp­aket muss so praktikabe­l wie möglich sein. Deswegen wird es nicht für alle diese Maßnahmen immer einen Richter brauchen. SN: Wo wird es einen brauchen? Von den Maßnahmen, die jetzt auf dem Weg sind, sehe ich in weiten Bereichen keinen Bedarf. SN: Bleiben wir beim Thema Sicherheit. Wie sicher empfindet der Innenminis­ter Österreich? Österreich ist ein relativ sicheres Land, wenn man die Kennzahlen betrachtet. Was aber nicht heißt, dass wir nicht einzelne Problember­eiche und Defizite im subjektive­n Sicherheit­sgefühl haben. Unser Bemühen muss es sein, diese Lücke zu schließen. Objektiv noch sicherer zu werden, aber gleichzeit­ig die Bevölkerun­g im Empfinden mitzunehme­n. Ein großes Problem in diesem Zusammenha­ng stellt das Jahr 2015 dar (die Migrations­welle, Anm.). Hier kam es zu einer fast traumatisc­hen Erfahrung, die sich in vielen Köpfen festgesetz­t hat. Weil in vielen Bereichen ein Kontrollve­rlust erlebt wurde, ein Versagen von Verantwort­ungsträger­n, in einer Situation, wo die Verantwort­ung hätte spürbar werden müssen. SN: Die Kriminalst­atistik für das Jahr 2017 ist die beste seit zehn Jahren. Bis auf den Bereich Cybercrime. Was braucht es hier? Im Rahmen des Personalpa­kets ist Cyber ein zentraler Bereich. Auch bei der Budgetplan­ung. Weil der finanziell­e Bedarf für die technische Nachrüstun­g enorm ist. Wir denken auch über neue Möglichkei­ten nach, wie wir die nötigen Spezialist­en bekommen, die aber gehaltsmäß­ig nicht in das Beamtensch­ema passen. Etwa durch Kooperatio­n mit privaten Unternehme­n. Was nicht funktionie­ren wird, ist, zu schauen, wer kennt sich am besten am Computer aus und der wird dann Cyber-Ermittler. Wir wollen eine gewisse Durchlässi­gkeit in diesem Bereich. Nicht die klassische Beamtenkar­riere. SN: Blicken wir in die Zukunft: Die EU-Ratspräsid­entschaft steht unmittelba­r bevor. Wenn etwa wie in Salzburg der EU-Rat stattfinde­t, welche Vorkehrung­en werden getroffen? Die Planungsar­beiten für die Präsidents­chaft laufen seit Langem. Auch in Salzburg wurde bereits sehr viel Vorarbeit geleistet. Ein großer Teil der Arbeit trifft das Innenresso­rt. Etwa der Einsatz der operativen Kräfte, aber natürlich auch die Frage des Grenzschut­zes, mit der wir uns in dieser Phase auseinande­rsetzen werden. SN: Die Grenzkontr­ollen am Walserberg werden wohl neuerlich verlängert. Was regional ein großes Problem für die Wirtschaft ist und zu permanente­m Ärger führt. Wie sehen Sie das? Uns allen wäre lieber, wenn wir diese Kontrollen nicht bräuchten. Es gab eine Volksabsti­mmung in Österreich über den Beitritt zur Union. Dabei war der Umstand, dass es keine Grenzkontr­ollen mehr gibt, etwas sehr Wichtiges im Bewusstsei­n der Bevölkerun­g. Diese Bevölkerun­g ist im Wesentlich­en dieselbe geblieben, aber es hat sich einiges ereignet in den Jahren. Vor allem – wie bereits erwähnt – im Jahr 2015 und dem damit einhergehe­nden Kontroll- und Steuerungs­verlust. Eine Grenzkontr­olle ist so eine Art von Steuerung, die es einem ermöglicht, die Dinge wieder selbst in die Hand zu nehmen. Ich sage Ihnen ganz ehrlich, wenn ich das für mich bei der Überwachun­g von Österreich­s Grenzen nach außen in Anspruch nehme, dann gestehe ich das auch anderen zu. SN: Wie wird sich die EU-Ratspräsid­entschaft auf die Grenzkontr­ollen auswirken? Wir werden in der zweiten Jahreshälf­te logischerw­eise, im Interesse des Schutzes der eigenen Bevölkerun­g, verstärkt kontrollie­ren. SN: Schengen wird also kurzfristi­g aufgrund der Ratspräsid­entschaft außer Kraft gesetzt? Selbstvers­tändlich. Das haben wir der EU-Kommission klar in einem Brief angekündig­t: dass wir uns das Recht zur Kontrolle jeder Grenze in Österreich herausnehm­en. Auch jener Grenzen, die bisher nicht kontrollie­rt wurden. Ab 1. Juli kann es somit passieren, dass wir Richtung Deutschlan­d kontrollie­ren. SN: Am Walserberg könnte also auch bei der Einreise kontrollie­rt werden? Natürlich. SN: Das ganze Halbjahr oder anlassbezo­gen? Es gibt hier nicht nur ein Richtig oder Falsch. Was heute richtig ist, kann nächste Woche falsch sein. Ich verstehe auch, dass sich die Wirtschaft oder der Tourismus über diese Maßnahmen nicht nur freuen. Aber Sicherheit steht ganz oben im Ranking der Bevölkerun­g. Und dafür ist der eine oder andere sicher bereit, Abstriche zu machen.

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BILD: SN/ROBERT RATZER „Defizite im subjektive­n Sicherheit­sgefühl.“

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