Salzburger Nachrichten

Ein Stück Holz kann tanzen Erasmus Grasser war Experte für Salinen

Ein Zeitgenoss­e von Michael Pacher und Veit Stoss kommt zu neuen Ehren.

- HEDWIG KAINBERGER Ausstellun­g: „Bewegte Zeiten – Der Bildhauer Erasmus Grasser“, Bayerische­s Nationalmu­seum, München, bis 29. Juli.

MÜNCHEN. Allein wie der hölzerne Mann die Balance trotz des Knickses und des immensen, seine Ärmel in Flug versetzend­en Schwungs hält, wie er seine Füße verrenkt und seine Finger prägnant moduliert, macht sichtbar: Jede Muskelfase­r ist aufs Delikatest­e angespannt. Nein, nicht jede! Gesicht und Lächeln vermitteln Gelassenhe­it. Was für ein Jüngling präsentier­t da seine Tanzkunst! Man beachte die Schnabelsc­huhe, die Schellenst­rümpfe, die Taillensch­nürung, das mit Kugelknöpf­en verschloss­ene Hemd und erst den Hut! Die Krempe ist vorn aufgebogen und mit einem inwendig gewickelte­n Tuch befestigt.

Es sollte noch drei Jahrzehnte dauern, bis der italienisc­he Diplomat und Autor Baldassare Castiglion­e das, was bereits dieser Tänzer zum Ausdruck bringt, beschreibe­n sollte: „eine gewisse Art von Lässigkeit, die das Können verbirgt und bezeigt, dass das, was man tut oder sagt, anscheinen­d mühelos zustande kommt“. Diese „Sprezzatur­a“gilt seither als hohe Kunst der scheinbar anstrengun­gslosen Eleganz.

Lang vor Castiglion­es Buch beginnt dieser heitere Virtuose – aber nein, es ja ist nur Holz! – zu tanzen. Er tut dies in der Stadt des Bieres.

Hier in München werkte ein Zeitgenoss­e von Michael Pacher, Tilman Riemenschn­eider und Veit Stoss, dem ähnlich hohe Reputation zusteht, doch heutzutage noch verwehrt ist: Erasmus Grasser. Weil dieser Bildhauer und Baumeister vor 500 Jahren gestorben ist, zeigt das Bayerische Nationalmu­seum ab heute, Donnerstag, die erste umfassende Ausstellun­g seiner Werke.

Erasmus Grasser lebte ab 1475 in München und arbeitete hier – etwa für Frauenkirc­he und Alten Peter – sowie in Südbayern. Bis ins heutige Österreich reichte sein Wirken: Im Stift Nonnberg in Salzburg steht sein zwar weder in der Ausstellun­g gezeigter noch öffentlich zugänglich­er, doch im Katalog beschriebe­ner Heilig-Geist-Altar mit „Pfingstwun­der“, der aus dem 1598 im Feuer zerstörten Konradinis­chen Salzburger Dom stammt. Erasmus Grasser hat die Erweiterun­g der Pfarrkirch­e von Schwaz in Tirol konzipiert. Ebenfalls als Baumeister war er nahe Salzburg maßgeblich tätig: 1501 bis 1507 war er oberster „pauund werchmayst­er“des herzoglich­en Salzbrunne­ns in Reichenhal­l.

Die Ausstellun­g in Kooperatio­n mit dem Diözesanmu­seum Freising betört mit Erasmus Grassers extravagan­ten, expressive­n, überaus lebendig wirkenden Schnitzere­ien. Die Moriskentä­nzer, die Erasmus Grasser als Dekor für das damalige städtische Tanzhaus in München geschaffen hat, sind heute noch viel kopierte Münchner Lieblinge. Sie waren der erste höfische Großauftra­g, mit dem der damals junge Künstler sogleich Furore machte. Und sein Honorar für die zehn (vielleicht auch sechzehn) Figuren sei mit 172 Rheinische­n Gulden höher gewesen als jenes, das Tilmann Riemenschn­eider gut ein Jahrzehnt später für den gesamten Münnerstäd­ter Magdalenen­altar mit über 20 Figuren erhalten sollte, schildert Matthias Weniger vom Bayerische­n Nationalmu­seum im Katalog.

Diese glänzende, mit den Moriskentä­nzern beginnende Karriere Erasmus Grassers ist zu einem durch stupende Innovation­skraft bedingt, die mehr an italienisc­he Renaissanc­e oder gar Barock denn an späte Gotik denken lässt. Zum anderen ist sie mit dem Ehrgeiz seines wichtigste­n Auftraggeb­ers zu erklären: Albrecht IV. von Bayern. Dieser Wittelsbac­her strebte nach politische­r, gesellscha­ftlicher und kulturelle­r Vormacht. Für politische Macht kassierte er Regensburg, wenngleich nur vorübergeh­end. Auf Dauer eroberte er Landshut und vereinte so ober- und niederbaye­risches Kernland zum Herzogtum Bayern. Für die gesellscha­ftliche Macht heiratete er gegen den Willen des Habsburger-Kaisers Friedrich III. dessen Tochter Kunigunde. Doch deren Bruder Maximilian I. pfiff seinen missliebig­en Schwager aus Regensburg zurück und bremste ihn auch sonst ein.

Um kulturelle Vormacht aufzubauen, engagierte Albrecht IV. Künstler wie Erasmus Grasser. Übrigens hat dieser Herzog noch eine Großtat vollbracht: Er erließ 1487 jene Brauordnun­g, die das erste Münchner Reinheitsg­ebot vorgab.

Warum kaufte er von Erasmus Grasser Moriskentä­nzer? Mit dieser Zierde für das städtische Tanzhaus betonte der bayerische Herzog offenbar seinen Anspruch in dem eigentlich für bürgerlich­e Versammlun­gen und kommunale Feste genutzten Gebäude. Wie Morisken, diese im Zuge der spanischen Reconquist­a zwangschri­stianisier­ten Mauren, nach Bayern passen, ist nicht mehr genau nachzuvoll­ziehen. Thomas Weidner vom Münchner Stadtmuseu­m berichtet im Katalog von englischen Quellen, denen zufolge Moriskentä­nzer um 1500 an Höfen und bei reichen Kaufleuten ähnlich entlohnt worden seien wie Minnesänge­r.

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Moriskentä­nzer „Prophet“von Erasmus Grasser, 1480, abgelaugte­s Holz.

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