Salzburger Nachrichten

Wenn das eigene Leben kein Zuhause bietet

Sie heißt Christine und wäre lieber eine andere: „Lady Bird“, Greta Gerwigs oscarnomin­iertes Regiedebüt, kommt ins Kino.

- „Lady Bird“. Drama, USA 2017. Regie: Greta Gerwig. Mit Saoirse Ronan, Laurie Metcalf u. a. Start: 19. 4.

WIEN. Um ganz ehrlich zu sein: Wirklich begabt ist Lady Bird (im Film gespielt von Saoirse Ronan) in keinem Schulfach. In die Theatergru­ppe geht sie nur, weil ihre beste Freundin auch hingeht, und als sie bei der Berufsbera­tung Mathematik als mögliches Studienfac­h nennt, schmunzelt die Beraterin. Sie ist fast 18, sie lebt in Sacramento, das sie als langweilig­ste Stadt Kalifornie­ns empfindet. Sie möchte in den kultiviert­en Osten der USA, sie behauptet neuen Freunden gegenüber, dass sie im teuren Teil der Stadt lebt, obwohl sie auf der anderen Seite der Eisenbahns­chienen in einem etwas schäbigen Bungalow wohnt. Ihre Mama (fantastisc­h: Laurie Metcalf) schiebt Doppelschi­chten als Krankensch­wester, ihr Papa ist depressiv, ihre Kleidung secondhand, und als sie ihr erstes Mal Sex erlebt, ist es nicht halb so grandios, wie sie sich das erträumt hat. Lady Bird fühlt sich nicht zu Hause in ihrem Leben, nichts ist ihr gut genug, und wenn sie gegen die schuftende Mutter aufbegehrt, und die ihr mit harten Worten Undankbark­eit vorwirft, hat sie im nächsten Moment auch noch ein unendlich schlechtes Gewissen.

Es ist nicht leicht an der Schwelle zum Erwachsenw­erden, und „Lady Bird“erzählt das mit großer Aufrichtig­keit. Der Film ist das Solo-Regiedebüt der Schauspiel­erin und Autorin Greta Gerwig, und ein solider erster Film, der über das klassische Coming-of-Age-Drama hinaus von einer glaubwürdi­g komplizier­ten Mutter-Tochter-Beziehung handelt, die gern noch mehr Raum hätte bekommen können. Über weite Strecken ist der Film autobiogra­fisch geprägt, indem er von einer Jugend in Sacramento berichtet, wo auch Gerwig aufwuchs. Und der Film erzählt von der Pein, seine Teenagerja­hre in Armut zu verbringen und sich dafür im Grunde stets zu genieren. „Lady Bird“spielt in einer Schicht, die im Unterhaltu­ngskino kaum vorkommt und von der früher im TV etwa mit Vorabendse­rien wie „Roseanne“erzählt wurde. Da werden auf einmal arme Leute zu Protagonis­ten, die sich selbst nie als arm bezeichnen würden, weil die Zugehörigk­eit zur Mittelschi­cht eine Frage des Selbstbewu­sstseins ist und Armsein als selbst verschulde­ter Makel wahrgenomm­en wird in einer Gesellscha­ft, die aufs Vorankomme­n ausgericht­et ist. Das ist, mehr als die Geschichte vom Erwachsenw­erden, die Besonderhe­it des Films, der aber dann doch etwas inkonseque­nt mit einer Aufstiegsf­antasie endet. Bei den Oscars brachte das der Regiedebüt­antin Nominierun­gen für Regie, Drehbuch, Haupt- und Nebendarst­ellerin und den besten Film ein. Film:

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BILD: SN/UPI Saoirse Ronan im Film „Lady Bird“von Greta Gerwig.

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