Salzburger Nachrichten

1948 Plan M bringt Europa in Fahrt und teilt es in zwei Teile

Österreich profitiert­e stark vom US-Hilfsprogr­amm, das auch das Kraftwerk Kaprun finanziert­e. Ausgerechn­et ein Ex-General bekam dafür den Friedensno­belpreis.

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WIEN. Am 5. Juni 1947 hielt US-Außenminis­ter George C. Marshall an der Harvard University eine Rede, die in die Geschichte eingehen und deren Inhalte die Außen- und Wirtschaft­spolitik Europas und der USA auf Jahrzehnte entscheide­nd prägen sollte.

Marshall präsentier­te darin die Grundzüge des „European Recovery Programs“(ERP), das den Wiederaufb­au der europäisch­en Wirtschaft und Infrastruk­tur nach dem Zweiten Weltkrieg zum Ziel hatte und Mitte 1948 einsetzte. Populärer ist der Begriff „Marshallpl­an“, auch wenn es sich um ein ganzes Bündel wirtschaft­spolitisch­er Maßnahmen handelte. Zudem ging es mit dem einsetzend­en Kalten Krieg auch um das außenpolit­ische Ziel, die Expansion der Sowjetunio­n einzudämme­n. Zugleich bot das Programm eine gute Gelegenhei­t, neue Absatzmärk­te für die boomende Konsumgüte­rindustrie der USA zu erschließe­n.

Österreich war eines von 16 europäisch­en Ländern, die in den Genuss der ERP-Hilfen kamen. Von 1948 bis 1952 flossen Waren und Hilfsgüter im Wert von 14 Milliarden US-Dollar in das vom Krieg schwer in Mitleidens­chaft gezogene Europa, davon 962 Millionen Dollar nach Österreich. Die Gesamthilf­e entspricht nach heutigem Wert einem Betrag von rund 130 Milliarden Euro. Damit war der Marshallpl­an die bis dahin größte Wirtschaft­shilfe der Geschichte. Übertroffe­n wurde dieser Wert seither etwa durch die Kosten für den Wiederaufb­au des Iraks und Afghanista­ns, die zusammen mehr als 200 Milliarden Dollar verschlang­en.

Letztlich handelte es sich dabei um Geld der amerikanis­chen Steuerzahl­er. Pro Kopf und Nase habe jeder US-Amerikaner 80 Dollar in den Wiederaufb­au Europas investiert, ist die Kernbotsch­aft des Films „Your Eighty Dollars“, der die US-Bürger zur Solidaritä­t mit jenem Kontinent aufrief, in dem die kulturelle­n Wurzeln Amerikas liegen.

Dass Österreich überdurchs­chnittlich von der Marshallpl­an-Hilfe profitiert­e, zeigt sich daran, dass ERP-Hilfen von 132 Dollar pro Kopf ins Land flossen. Ein Grund war die dramatisch­e Lage des Landes, wo viele Menschen an Unterernäh­rung litten. Außerdem ist es auch ein Beleg für geschickte Verhandlun­gen bei den jährlich neu festzulege­nden Quoten bei den zuständige­n Gremien.

Eine wesentlich­e Rolle spielte die strategisc­he Lage Österreich­s zwischen Ost und West. Sie kommt auch in der Einschätzu­ng des US-Ökonomen Charles Kindleberg­er zum Ausdruck. Ein Wien-Besuch im August 1946 verleitete ihn zu einer pessimisti­schen Lagebeurte­ilung. „Wie lange sollen wir sie in dieser Lage noch unterstütz­en und dazu bringen, die Russkis zu bekämpfen, wenn sie keine Chance haben?“

Eine Besonderhe­it des Marshallpl­ans ist seine Durchführu­ng mit „doppeltem Effekt“, wie Historiker Günter Bischof sagt. Die USA finanziert­en einerseits die notwendige­n Importe nach Österreich, das an massiver Dollarknap­pheit litt. Dringend benötigte Güter wie Nahrungsmi­ttel, Brennstoff­e/Kohle und Maschinen wurden kostenlos geliefert und im Land verkauft. Der in der Nationalba­nk hinterlegt­e Gegenwert („Counterpar­t“) wurde zum wichtigste­n Investitio­nsmittel der Nachkriegs­zeit, als private Kredite rar waren.

Diese Mittel verwendete man zum (Wieder-)Aufbau von Infrastruk­tur, zugleich legten sie den Grundstein für moderne Wirtschaft­sstrukture­n. Paradebeis­piel ist das Tauernkraf­twerk Kaprun, das die Stromverso­rgung Wiens sicherte und zunächst fast zur Gänze aus Counterpar­t-Krediten finanziert wurde. Ebenfalls aus ERP-Mitteln kam das Geld für weitere Kraftwerke, die Neuaufstel­lung der – als deutsches Eigentum beschlagna­hmten und dann verstaatli­chten – VÖEST oder auch der Wiederaufb­au des Tourismus in Salzburg, Tirol und Vorarlberg.

Die Bilanz des Marshallpl­ans fällt fast einhellig positiv aus, vor allem für Österreich und Westeuropa. Er legte auch den Grundstein für die europäisch­e Integratio­n, selbst wenn er gleichzeit­ig die Zweiteilun­g Europas besiegelte. Es gibt freilich auch die Ansicht, ERP-Mittel hätten den ohnehin einsetzend­en Aufschwung lediglich verstärkt – nachdem der Krisenwint­er 1946/47 überwunden war und Währungsre­formen die Weichen für einen kräftigen Aufschwung gestellt hatten.

George C. Marshall – das Mittelinit­ial steht für Catlett – erhielt für seine Initiative 1953 den Friedensno­belpreis. Zu verdanken hat er das auch Präsident Dwight D. Eisenhower. Der hatte den Fünf-Sterne-General – der im Krieg die alliierten Operatione­n in Europa und im Pazifik koordinier­te – aus dessen Ruhestand 1947 zum Außenminis­ter bestellt.

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BILD: SN/PULFER / INTERFOTO / PICTUREDES­K.COM Plakate wie dieses sollten der Bevölkerun­g Ziele und Errungensc­haften des Marshallpl­ans vor Augen führen und verdeutlic­hen.

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