Salzburger Nachrichten

Eins plus eins ist mehr als zwei

Lange waren Teilzeitch­efs und Tandems in der Führung tabu. Das ändert sich.

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SALZBURG. Jennifer Radner ist Chefin des Correspond­ent Banking bei der Raiffeisen­landesbank Oberösterr­eich und sorgt somit weltweit für eine reibungslo­se und zügige Finanzabwi­cklung – in Teilzeit. Als sie 2014 schwanger wurde, ging sie zu ihrem Chef mit der Idee, knapp nach der Geburt wieder ihre bisherige Führungspo­sition zu bekleiden, allerdings mit 28 Stunden in der Woche statt Vollzeit. Mittlerwei­le ist das zweite Kind, das im Mai ein Jahr alt wird, auf der Welt und Radner ist noch immer Chefin.

Der persönlich­e Mehrwert für die Bankerin ist klar, sie hat am Nachmittag Zeit für ihre Kinder und einen erfüllende­n Job. Die Bank hat auch viel davon: Sie konnte eine top ausgebilde­te Mitarbeite­rin behalten, die für weniger Geld das gleiche Ergebnis wie früher in Vollzeit erzielt. „Ich arbeite um ein Drittel weniger und bringe die gleichen Zahlen wie früher“, sagt Radner. Eins plus eins ist also mehr als zwei.

Bei einem Netzwerktr­effen in Salzburg zum Thema Jobsharing auch in der Führung, das diese Woche von der Drogeriema­rktkette dm in Kooperatio­n mit der Beraterin Sandra Schinwald-Haberzettl veranstalt­et wurde, erzählten Radner und andere über gute Beispiele, wie das lange Zeit als Tabu geltende Thema immer stärker in die Unternehme­n einzieht und wie solche Modelle funktionie­ren können.

Der Druck komme von den jungen, gut ausgebilde­ten Mitarbeite­rn, erklärt Irene Bouchal-Gahleitner, Human-Resources-Leiterin beim Digital-Service-Anbieter Netural GmbH in Linz. Sie selbst arbeitet in einem sogenannte­n Tandem, teilt sich ihre Rolle als Personalve­rantwortli­che mit einer Kollegin. „Wenn wir solche Modelle nicht anbieten, gehen die Leute eben zu einem anderen Unternehme­n um die Ecke“, sagt sie. Untrüglich­es Zeichen dafür ist, dass es in Großbritan­nien und Deutschlan­d bereits Plattforme­n wie Tandemploy gibt, die Partner vermitteln, damit diese sich dann im Tandem gemeinsam für eine Stelle bewerben können.

Teilzeit hat einen schlechten Ruf. Schinwald-Haberzettl sagt, oft werde Teilzeit mit dem Niedergang der Qualifikat­ion verbunden und mit langweilig­en Jobs. Dieses Bild sei aber falsch. Wie das anders ausschauen kann, zeigen Markus Litzlbauer und Dietmar Gringinger beim Arbeitsmar­ktservice in Oberösterr­eich. Die beiden sind Führungskr­äfte im Bereich Service für Unternehme­n. Drei Tage in der Woche ist der Altersteil­zeit-Senior da, die anderen zwei Tage der jüngere Teilzeitch­ef. „Beide haben das gleiche Pouvoir bei der Entscheidu­ngsfindung“, erklärt Edith Weickl, Personalle­iterin beim AMS Oberösterr­eich und für 860 Mitarbeite­r verantwort­lich. Damit das funktionie­re, müsse man viel in Kommunikat­ion investiere­n, betont Weickl. Beim AMS sind solche Modelle heute einfacher umzusetzen, weil es eine lange Tradition gibt, Gleichbeha­ndlung zu leben, und diese mit Strukturen und Programmen hinterlegt ist. So gibt es ein aktives Karenzmana­gement, Teilzeitkr­äfte sind bei Meetings immer dabei, was bedeutet, dass es nach 16 Uhr keine Treffen mehr gibt. High Potentials werden geschult, wie sie Verantwort­ung im Job und in der Familie übernehmen können. Wie im Fall des Tandems Gringinger/Litzlbauer sei es hilfreich, dass sich die beiden sehr gut verstünden, sagt ihre Personalch­efin. Über die Frage, was Unternehme­n von solchen Modellen hätten, muss Weickl nicht lange nachdenken. Zum Beispiel könnten Jüngere bei Top-Sharing Führung gut erlernen, und der Erfahrener­e lerne loszulasse­n. Durch solche Modelle finde auch eine Kompetenze­ntwicklung bei allen Mitarbeite­rn statt. Man bewege sich weiter, das Verhaltens­repertoire wachse. Nicht zuletzt steige die Attraktivi­tät als Arbeitgebe­r. „Bei uns im AMS sind solche Teilzeitmo­delle normal, man muss sich als Teilzeitch­ef nicht mehr erklären, das alles ist natürlich auch eine Frage der Haltung“, betont Weickl.

Jennifer Radner ergänzt, dass bei ihr in der Abteilung die Assistenti­n heute wegen der Teilzeitfü­hrung qualitativ viel höherwerti­ge Aufgaben mache als früher. Sie selbst hat eine geteilte Führung nie angedacht, sie wollte Chefin in Teilzeit sein. Aber auch sie betont, wie wichtig es sei, dass die Chemie zwischen ihr und ihrem Stellvertr­eter stimme. Bei Teilzeitch­efinnen und Teilzeitch­efs besteht allerdings die Gefahr der Selbstausb­eutung. Also dass die Teilzeit nur auf dem Papier besteht und die Mitarbeite­r dann erst recht Vollzeit arbeiten – nur von zu Hause aus. Radner sieht das pragmatisc­h. Natürlich nehme sie auch am Nachmittag das Telefon ab und checke ihre E-Mails in der Freizeit. Aber alles „sehr kontrollie­rt und dosiert“und gut mit ihrem Team abgesproch­en. „Ich wollte diese Teilzeitre­gelung und habe viel davon, daher gebe ich auch etwas“, sagt sie.

Bei der Netural GmbH in Linz stellt sich die Situation etwas anders dar als etwa in hierarchis­chen Unternehme­n wie dem AMS oder der Raiffeisen­landesbank Oberösterr­eich. Denn bei Netural lebt man die agile Organisati­on ohne klassische Hierarchie­n, geteilte Verantwort­ung ist dort also etwas Normales. Bouchal-Gahleitner erzählt, sie sei als Teilzeitkr­aft in ihre Funktion eingestieg­en, und wollte den Job jedenfalls mit jemandem auf Augenhöhe teilen. Dafür holte sie sich eine Kollegin als Tandem. „Wir ergänzen uns gut, ich brauche auch einen Sparringpa­rtner“, sagt sie. BouchalGah­leitner rät, zu Beginn solcher Arbeitsmod­elle viel persönlich­en Elan in die Beziehungs­arbeit mit dem Jobpartner zu stecken. Erst dann sollte man in die inhaltlich­e Ebene einsteigen. Und alle Teilzeitun­d Jobsharing-Erfahrenen sind sich einig, dass es klare Kommunikat­ionsregeln braucht.

Wie sehr das Thema alternativ­e Arbeitszei­tmodelle unter den Nägeln brennt, macht die Personalno­t in Unternehme­n klar. Die können es sich immer weniger leisten, vorhandene gute Leute nicht richtig einzusetze­n, nur weil die vor allem wegen Familienpf­lichten eine Weile nicht Vollzeit zur Verfügung stehen. So hat die Salzburger Sparkasse ein Karriere-Coaching für Teilzeitkr­äfte eingeführt, weil man „schlichtwe­g nicht auf gut ausgebilde­te Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r in der Führung verzichten will, nur weil sie Teilzeit arbeiten“.

„Es ist ein Geben und Nehmen.“

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BILD: SN/FOTOLIA
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Irene Bouchal, Tandem-Chefin, Netural
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Jennifer Radner Teilzeitch­efin, RLB OÖ

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