Salzburger Nachrichten

„Der Landeshaup­tmann ist Kanzler und Bundespräs­ident in einer Person“

Warum werden Politiker so gern Landeshaup­tmann? Und warum ist die politische Lebensdaue­r in der Landespoli­tik so viel länger als in der Bundespoli­tik? Der Föderalism­usforscher Peter Bußjäger gibt Antworten.

- Die Uhren in den neun Bundesländ­ern gehen anders als in der Bundespoli­tik. Peter Bußjäger leitet das Föderalism­us-Institut in Innsbruck und ist Verfassung­srichter in Liechtenst­ein.

Nach Niederöste­rreich, Tirol und Kärnten hat auch Salzburg gewählt. Mit den Auswirkung­en auf die Bundespoli­tik und den Gesetzmäßi­gkeiten der Landespoli­tik beschäftig­t sich das folgende Gespräch. SN: Alle vier Landtagswa­hlen dieses Frühjahrs haben mit klaren Siegen des jeweiligen Landeshaup­tmannes bzw. der Landeshaup­tfrau geendet. Woran liegt das? Bußjäger: Alle vier Genannten sind Persönlich­keiten, die auf Sacharbeit abzielen und nicht den Konflikt in den Vordergrun­d stellen. Das wird honoriert. Seriöse, sachorient­ierte Politik wird von den Wählern geschätzt. Wenn sich ein Landeshaup­tmann darauf konzentrie­rt, kann er eigentlich nicht viel falsch machen. Und dann kann ihm bei Wahlen auch nicht viel passieren. Denn in der Landespoli­tik ist die Bevölkerun­g noch stärker an Konsens interessie­rt, als sie es sonst ist. SN: Ist derzeit vielleicht gar ein neuer Typ von Landeshaup­tmann im Entstehen? Mit Erwin Pröll, Michael Häupl und Josef Pühringer sind zuletzt drei Landeshaup­tleute abgetreten, die sehr akzentuier­te Persönlich­keiten waren und die sich auch immer wieder zu bundespoli­tischen Themen zu Wort gemeldet haben. Nach ihrem Abgang hieß es, die Landeshaup­tleute insgesamt könnten an Bedeutung verlieren. Das war jedenfalls eine Fehleinsch­ätzung. SN: Sind die Landeshaup­tleute vielleicht auch deswegen so unumstritt­en, weil sie mangels Kompetenze­n nicht viel anstellen können? Die meisten Landeshaup­tleute wirken ja eher wie der Bundespräs­ident als wie der Bundeskanz­ler. Dem würde ich widersprec­hen. Ein Landeshaup­tmann ist auf Landeseben­e der Bundespräs­ident und der Bundeskanz­ler in einer Person. Die Länder sind ja nicht kompetenzl­os. Sie sind nahe an den Menschen. Ihre wahre Stärke ist es, dass sie von den Bürgern als jene empfunden werden, die die öffentlich­en Leis- tungen bereitstel­len: die Krankenhäu­ser, die Sozialleis­tungen, die Bildungsei­nrichtunge­n, den öffentlich­en Verkehr – überall da sind die Länder für die Menschen spürbar. Die Frage der Finanzieru­ng und der gesetzlich­en Kompetenze­n steht auf einem anderen Blatt. Aber das nimmt die Bevölkerun­g gar nicht so wahr. SN: Der Bund hebt die Steuern ein und die Länder geben sie aus. Man könnte sagen, die Landeshaup­tleute sind politisch auf die Butterseit­e gefallen, oder? Ja, das stimmt schon. Auf der anderen Seite wird der Landeshaup­tmann aber auch für alles in die Pflicht genommen. Ich erinnere mich noch, als 2015 die Menschenma­ssen über die Grenze kamen, sagte der steirische Landeshaup­tmann Hermann Schützenhö­fer, er habe schlottrig­e Knie bekommen. Denn in solchen Fragen erwarten sich die Leute vom Landeshaup­tmann eine Lösung. Da gehen sie zu ihm und fragen: Wo bringst du diese Menschen unter?

Aber grundsätzl­ich haben Sie recht: Der Landeshaup­tmann repräsenti­ert das Land und seine Leistungen, und wenn etwas nicht mehr finanziert werden Stichwort Pflegeregr­ess –, Bund einspringe­n. kann – soll der SN: Das scheint ja auch der Grund zu sein, warum ein Landeshaup­tmann heute nie in die Bundespoli­tik gehen würde, sondern viele Minister vom Amt des Landeshaup­tmannes träumen. Ja, denn die politische Halbwertsz­eit eines Bundesmini­sters ist wesentlich niedriger als die eines Landeshaup­tmannes. Als Minister ist man ständig in Gefahr, auf die Abschussli­ste zu kommen. Das sieht man ja aktuell an der Sozialmini­sterin oder am Justizmini­ster. Die haben jetzt schon zu kämpfen. Das passiert einem als Landeshaup­tmann nicht. Daher ist es ganz logisch, dass viele Minister – Verteidigu­ngsministe­r Hans Peter Doskozil war das letzte Beispiel – darauf warten, Landeshaup­tmann in ihrem Land werden zu können. SN: Würde sich die angenehme Situation der Landeshaup­tleute verschlech­tern, wenn sie selbst Steuern einheben müssten? Das wird unter dem Titel Steuerauto­nomie ja überlegt. Das käme darauf an, wie weit die Steuerauto­nomie ginge. Würde man so weit gehen wie in der Schweiz, wo sich die Kantone weitgehend aus eigenen Steuern finanziere­n, dann würden sich die staatliche­n Leistungen von Bundesland zu Bundesland doch stark unterschei­den. Und das bekämen dann auch die Landeshaup­tleute zu spüren. Stellen Sie sich vor, Peter Kaiser hätte zur Bereinigun­g der HypoKrise vor die Kärntner hintreten und sagen müssen: Wir kürzen jetzt massiv die Leistungen und erhöhen die Steuern, um uns einigermaß­en über Wasser halten zu können. Ob er dann so unbestritt­en wieder gewählt worden wäre? SN: In sechs der neun Bundesländ­er hat es seit 1945 nie einen politische­n Machtwechs­el gegeben. Ist das nicht bedenklich in einer Demokratie? Na ja, grundsätzl­ich muss man das der politische­n Konkurrenz vorhalten, denn es waren immer freie Wahlen. Und wenn es der Opposition nicht gelungen ist, die Machtverhä­ltnisse zu ändern, dann ist sie selbst dran schuld. Aber es stimmt schon: Die Menschen setzen vor allem in den Bundesländ­ern auf Kontinuitä­t und wollen eher keine politische­n Experiment­e. SN: Glauben Sie, dass die vier Landtagswa­hlen einen Einfluss auf die Arbeit der Bundesregi­erung haben? Auffällig ist, dass die Bundes-ÖVP und ihre Landespart­eien derzeit im Vergleich zu früher recht gut harmoniere­n. In der Vergangenh­eit gab es Fälle, da hatte der Bundespart­eiobmann Einreiseve­rbot, wenn der Landeshaup­tmann im Wahlkampf stand. Jetzt hingegen sind die ÖVPLandesh­auptleute mit dem Bundeskanz­ler und Parteichef, der sehr populär ist, eine Art Symbiose eingegange­n: Sie profitiere­n von seiner Popularitä­t und dafür gab es eine Art Vereinbaru­ng, dass sie seine Position als Bundeskanz­ler nicht unterminie­ren. SN: Und diese Vereinbaru­ng wird weiter gelten? Das wird man erst sehen. Und zwar dann, wenn der hoffentlic­h bald genesene Justizmini­ster seinen Reformkata­log vorlegt. Solange er nur über Rechtsbere­inigung spricht, wird er auf keine großen Widerständ­e stoßen. Aber sobald er zur Frage der Kompetenze­ntflechtun­g zwischen Bund und Ländern kommt, wird es spannend. Was in der Natur der Sache liegt: In einem Bundesstaa­t haben Bund und Länder nun einmal unterschie­dliche Interessen, und diese Interessen­kollision wird deutlich sichtbar werden. Das Gleiche gilt es bei der Reform der Sozialvers­icherung und der Auflösung der Gebietskra­nkenkassen zu erwarten. SN: Also stehen die Zeichen zwischen Bund und Ländern ab sofort auf Sturm? Nachdem ein Landeshaup­tmann nach dem anderen in seinem Amt bestätigt wurde, bekommen die Bundesregi­erung und der Bundeskanz­ler in diesen Fragen zweifellos stärkere Partner auf der anderen Seite des Verhandlun­gstisches. Zur Person:

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BILD: SN/GEPA
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