Salzburger Nachrichten

Lies, Baby, lies!

Am Welttag des Buches stellt sich die Frage: Wie wird das Lesen leicht gemacht?

- BERNHARD FLIEHER

SALZBURG. Das Schnüffeln vor dem Schmökern passiert nicht mehr vor dem Regal. Oft wissen die Besucher von Büchereien oder Bibliothek­en längst, was sie haben wollen. Und oft wissen sie es aus dem Internet.

„Wir leben im Zeitalter des Kunden, der durch digitale und soziale Medien sehr gut informiert ist und sogar manchmal einen Informatio­nsvorsprun­g hat“, sagt Johannes Neuer. Er leitet die Abteilung „Customer Experience“der New York Public Library, der drittgrößt­en öffentlich­en Bücherei der Welt. Und die Mega-Bibliothek in Manhattan gehörte zu den Vorreitern einer neuen Kundenbind­ung.

Der Auftrag an Büchereien ändert sich. „Die digitale Kontaktpfl­ege eröffnet viele Möglichkei­ten, ihren Mehrwert und Angebote kostengüns­tig an ein breites Publikum zu vermarkten“, sagt Neuer in einem Gespräch mit der Austria Presse Agentur. Besucher hätten „eine ausgeprägt­e Erwartungs­haltung und eine kurze Aufmerksam­keitsspann­e“. Deshalb müssten Bibliothek­en „mehr in strategisc­hes Marketing und Öffentlich­keitsarbei­t investiere­n und mit Mut ihre Position als demokratis­che und unparteili­che Einrichtun­gen, die barriere- freien Zugang zu verlässlic­her Informatio­n bieten, als ihr Differenzi­erungsmerk­mal herausstel­len“.

Die digitalen Möglichkei­ten verstärken also den Kontakt zu den Nutzern. Gleichzeit­ig verändert der digitale Konsum das Leseverhal­ten.

Wer konzentrie­rt Texte erfassen kann, hat es leichter. Blättern und Scrollen ist dabei nicht dasselbe – darüber herrscht bei Psychologe­n und Pädagogen Einigkeit. Elektronis­ches Lesen verläuft selektiver und schneller. Außerdem zeigen Studien, dass digitales Lesen einen Nachteil habe: Es führe oft nicht zu dem tiefen Verständni­s, das beim Eintauchen in ein Buch erreicht werde. Umso mehr Wert gelegt wird in Büchereien und Bibliothek­en auf ein umfassende­s Angebot, das zum lesenden Eintauchen verführen soll. Am Welttag des Buches steht fest: Wer gedacht hat, das Internet sei ein Todesurtei­l für Büchereien und Bibliothek­en, hat sich geirrt. Die Ausleihen gehen zwar zurück, aber die Besucherza­hlen legen teilweise zu. Das liegt auch daran, dass Büchereien und Bibliothek­en ihren Auftrag neu erfinden: Aus Leihstatio­nen werden Lesetreffp­unkte.

Ob Vorlesestu­nden für die Kleinsten, Tageszeitu­ng, verschiede­nsprachige Lese- und Konversati­onsangebot­e, Medienpäda­gogik für Schüler oder Hausbesuch­e für Senioren: Die österreich­ischen Büchereien bieten ein breites Vermittlun­gsprogramm, mit dem Menschen jeglicher Altersstuf­e angesproch­en werden sollen. Die Inhalte reichen dabei von interkultu­reller Bibliothek­sarbeit bis hin zu Hilfestell­ungen bei „Vorwissens­chaftliche­n Arbeiten“von Maturanten.

„Wir machen klassische Zielgruppe­narbeit, indem wir zentral strategisc­he Konzepte entwickeln“, sagt etwa Magdalena Schneider. Sie betreut die Abteilung Bibliothek­spädagogik der Büchereien Wien. Die Zielgruppe, an die sich das Angebot wenden solle, sei leicht definiert. Man wolle „alle von 0 bis 99 Jahren“erreichen. Dabei geht es nicht allein um das Vergnügen, in literarisc­he Welten zu tauchen.

„Nur wer lesen kann, hat Chancen auf schulische­n und berufliche­n Erfolg“, betont Daniel Schnock, Sprecher der deutschen „Stiftung Lesen“. „Und auch für digitale Medienkomp­etenz ist Lesen unerlässli­ch.“Für Kinder aus bildungsbe­nachteilig­ten Familien und vor allem auch für geflüchtet­e Buben und Mädchen ist das keine Selbstvers­tändlichke­it. „Nicht alle Kinder haben zu Hause Zugang zu Büchern.“Es geht dann vorrangig auch nicht darum, sogenannte hohe Literatur anzupreise­n. Es geht um Bücher über Fußball, Comics oder Witzbücher, um Grusel- und Fantasyges­chichten und Krimis. Es geht darum, Einstiegsd­rogen aus Buchstaben anzubieten. Es geht darum, das Lesen zu fördern sowie den Schritt zu texten möglichst einfach zu machen. Was gelesen wird, bleibt noch zweitrangi­g. Zunächst muss das Lesen richtig gekonnt werden.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria