Lies, Baby, lies!
Am Welttag des Buches stellt sich die Frage: Wie wird das Lesen leicht gemacht?
SALZBURG. Das Schnüffeln vor dem Schmökern passiert nicht mehr vor dem Regal. Oft wissen die Besucher von Büchereien oder Bibliotheken längst, was sie haben wollen. Und oft wissen sie es aus dem Internet.
„Wir leben im Zeitalter des Kunden, der durch digitale und soziale Medien sehr gut informiert ist und sogar manchmal einen Informationsvorsprung hat“, sagt Johannes Neuer. Er leitet die Abteilung „Customer Experience“der New York Public Library, der drittgrößten öffentlichen Bücherei der Welt. Und die Mega-Bibliothek in Manhattan gehörte zu den Vorreitern einer neuen Kundenbindung.
Der Auftrag an Büchereien ändert sich. „Die digitale Kontaktpflege eröffnet viele Möglichkeiten, ihren Mehrwert und Angebote kostengünstig an ein breites Publikum zu vermarkten“, sagt Neuer in einem Gespräch mit der Austria Presse Agentur. Besucher hätten „eine ausgeprägte Erwartungshaltung und eine kurze Aufmerksamkeitsspanne“. Deshalb müssten Bibliotheken „mehr in strategisches Marketing und Öffentlichkeitsarbeit investieren und mit Mut ihre Position als demokratische und unparteiliche Einrichtungen, die barriere- freien Zugang zu verlässlicher Information bieten, als ihr Differenzierungsmerkmal herausstellen“.
Die digitalen Möglichkeiten verstärken also den Kontakt zu den Nutzern. Gleichzeitig verändert der digitale Konsum das Leseverhalten.
Wer konzentriert Texte erfassen kann, hat es leichter. Blättern und Scrollen ist dabei nicht dasselbe – darüber herrscht bei Psychologen und Pädagogen Einigkeit. Elektronisches Lesen verläuft selektiver und schneller. Außerdem zeigen Studien, dass digitales Lesen einen Nachteil habe: Es führe oft nicht zu dem tiefen Verständnis, das beim Eintauchen in ein Buch erreicht werde. Umso mehr Wert gelegt wird in Büchereien und Bibliotheken auf ein umfassendes Angebot, das zum lesenden Eintauchen verführen soll. Am Welttag des Buches steht fest: Wer gedacht hat, das Internet sei ein Todesurteil für Büchereien und Bibliotheken, hat sich geirrt. Die Ausleihen gehen zwar zurück, aber die Besucherzahlen legen teilweise zu. Das liegt auch daran, dass Büchereien und Bibliotheken ihren Auftrag neu erfinden: Aus Leihstationen werden Lesetreffpunkte.
Ob Vorlesestunden für die Kleinsten, Tageszeitung, verschiedensprachige Lese- und Konversationsangebote, Medienpädagogik für Schüler oder Hausbesuche für Senioren: Die österreichischen Büchereien bieten ein breites Vermittlungsprogramm, mit dem Menschen jeglicher Altersstufe angesprochen werden sollen. Die Inhalte reichen dabei von interkultureller Bibliotheksarbeit bis hin zu Hilfestellungen bei „Vorwissenschaftlichen Arbeiten“von Maturanten.
„Wir machen klassische Zielgruppenarbeit, indem wir zentral strategische Konzepte entwickeln“, sagt etwa Magdalena Schneider. Sie betreut die Abteilung Bibliothekspädagogik der Büchereien Wien. Die Zielgruppe, an die sich das Angebot wenden solle, sei leicht definiert. Man wolle „alle von 0 bis 99 Jahren“erreichen. Dabei geht es nicht allein um das Vergnügen, in literarische Welten zu tauchen.
„Nur wer lesen kann, hat Chancen auf schulischen und beruflichen Erfolg“, betont Daniel Schnock, Sprecher der deutschen „Stiftung Lesen“. „Und auch für digitale Medienkompetenz ist Lesen unerlässlich.“Für Kinder aus bildungsbenachteiligten Familien und vor allem auch für geflüchtete Buben und Mädchen ist das keine Selbstverständlichkeit. „Nicht alle Kinder haben zu Hause Zugang zu Büchern.“Es geht dann vorrangig auch nicht darum, sogenannte hohe Literatur anzupreisen. Es geht um Bücher über Fußball, Comics oder Witzbücher, um Grusel- und Fantasygeschichten und Krimis. Es geht darum, Einstiegsdrogen aus Buchstaben anzubieten. Es geht darum, das Lesen zu fördern sowie den Schritt zu texten möglichst einfach zu machen. Was gelesen wird, bleibt noch zweitrangig. Zunächst muss das Lesen richtig gekonnt werden.