Der Rüssel färbt den Himmel rot
54 Jahre alt und brandaktuell: Die Uraufführung eines Frühwerks von Wolfgang Bauer versprach mehr, als gehalten werden konnte.
Mehr als ein halbes Jahrhundert nach seiner Entstehung wurde Wolfgang Bauers „Der Rüssel“am Freitag am Wiener Akademietheater uraufgeführt. „Diese kommt genau zum richtigen Zeitpunkt“, sagt der Regisseur Christian Stückl, sind doch Klimaerwärmung, Fremdenhass und Angst vor Islamisierung hochaktuelle Themen.
Als Bauer das Stück 1962 verfasste, kam der Begriff des Treibhauseffekts auf und Afrika interessierte als Ort romantisierter Exotik. 2015 wurde das Stück im Nachlass des Komponisten Franz Koringer entdeckt, zu einem Zeitpunkt, als die Flüchtlingskrise an ihrem Höhepunkt war. „Fast wirkt es, als hätte es sich Jahrzehnte versteckt, um erst jetzt aufgeführt zu werden“, scherzt Stückl.
Das absurde Theater, Samuel Beckett und Eugène Ionesco hatten es dem damals 21-jährigen Bauer angetan. So liest sich sein erstes abendfüllendes Drama als Groteske mitten in den Alpen.
Bauer zeigt eine klassische Dorfgemeinschaft: einen Pfarrer mit dem sprechenden Namen Wolkenflug, einen Bürgermeister namens Trauerstrauch, einen Krämer, der sich auf Kolonialwaren spezialisiert und Kuckuck heißt, sowie die Bauernfamilie Tilo mit Hühnern, Kühen und Pferden. In der Stube hängt das Porträt des verstorbenen Urgroßvaters Claudius, ehemals Großwildjäger im Kongo, der allerlei Trophäen mitgebracht hat, Löwenköpfe, Nilpferdschnauzen und Elefantenbeine. Man feiert seinen 101. Geburtstag und auf bizarre Weise scheint er anwesend zu sein. Sein Bild fällt von der Wand, am Dach hört man Schritte. Claudius’ Fantasien scheinen Wirklichkeit zu werden. Dafür sorgt der jüngste Enkel Florian, der von Neuerungen träumt, die Leben, Wärme und Farbe in die graue Berglandschaft bringen. Florian trägt rote Unterwäsche und spricht ein paar Sätze Afrikanisch, statt von Pferden träumt er von einem Elefanten, der die Welt verändern soll. Und siehe da, während eines gespenstischen Gewitters wird dieser im Wildbach geboren, aber sein Glück währt nur kurz: Der Rüssel bleibt in der Hauswand stecken und der festsitzende Elefant muss mit Tonnen an Bananen, Mehl und Eiern versorgt werden.
In Stückls Inszenierung ist der titelgebende Rüssel nur für einen Moment zu sehen, aber seine Ankunft macht die Berge zur Savanne.
Wo einst das Gipfelkreuz stand, wachsen nun Palmen. Weder Pfarrer noch Bürgermeister, der sich über den aufblühenden Tourismus freut, sind Florians Widersacher, der eigene Großvater möchte wieder, dass alles wird, wie es war. Und so liefert er den eigenen Enkel ans Kreuz. Mord, Totschlag und sexuelle Gewalt bestimmen die Normalität im Dorf und im Leben des Patriarchen, der sich Schlagobers ins Gesicht schmiert, um die Freundin des Enkels zu vernaschen.
In Stückls Uraufführung ist Branko Samarovski als grantiger AlmÖhi zu sehen. Von der Abgründigkeit der Figur ist ebenso wenig zu spüren wie von der Habgier des Kapitalisten Kuckuck, den Peter Matić im bunten Tropenkostüm gibt und der wie ein verirrter Wellensittich wirkt. Markus Meyer wiederum outriert als Pfarrer, hysterisch kreischt er um die verlorenen Christenseelen und wackelt mit dem Po- po, wenn zu afrikanischer Trommelmusik getanzt wird.
Trotz reicher Einfälle versprachen die Ankündigungen der Uraufführung weit mehr, als die Inszenierung leistet. Vergeblich sucht das Ensemble nach einem Rhythmus, allein Sebastian Wendelin gelingt ein überzeugender Florian zwischen Visionär und Größenwahnsinnigem. Herausragend zeigt sich die Gesangskapelle Hermann, die die Sehnsucht nach Glück unter anderem mit dem Lied „Irgendwo auf der Welt“der Comedian Harmonists besingt und – wie das gesamte Team – viel Applaus erntete.