Schwarzer Humor macht sich gut im Musical
KARL HARB LINZ. Zwischen den unverwüstlichen Klassikern des Genres und den synthetischen Massenprodukten für die Unterhaltungsindustrie gibt es vielfältige Facetten im Musical. Seit fünf Jahren führt diese Diversität eine eigene Sparte am Linzer Musiktheater in vier bis fünf Produktionen pro Saison exemplarisch vor. Mit der aufwendig, originell und qualitätsvoll entwickelten Show „In 80 Tagen um die Welt“gab es beim Deutschen Musicalpreis 2017 sogar rekordverdächtig Preise in sechs von elf Kategorien, darunter Musical des Jahres.
Erfolg verpflichtet: Dass Musicals auch unkonventionelle Themen in ungewöhnlichen Formaten behandeln, belegen die aktuellen Produktionen. Im Schauspielhaus an der Promenade wagt man sich an Stephen Sondheims „Attentäter (Assassins)“, in dem die Autoren 1990 eine Historienrevue an gescheiterten Attentaten auf amerikanische Präsidenten als – leider aktuell fragwürdig heikles – Recht eines jeden, sich frei zu entfalten, also nötigenfalls auch den Finger am Abzug krumm zu machen, zum Spiel freigaben.
Regisseur Evgeny Titov trat die Flucht nach vorn in eine abgedrehte Freakshow à la Tiger Lillies an, die in einem Varieté-Ambiente (Bühne: Eva Musil) vor einem Dutzend tumber DonaldTrump-Klone grell, frech, schrill ausgestellt wird. Bei allem Anspruch von Sondheims eigenwillig komplexer Musik und den Spiel- und Singkünsten der Darsteller: Da bleibt einem derzeit mehr als nur das Lachen im Halse stecken. Eine angelsächsisch schwarzhumorige, dabei herrlich schräg inkorrekte Variante von Geschichtsaufarbeitung bietet indessen im Musiktheater „Betty Blue Eyes“. England 1947, zur Zeit der Verlobung von Prinzessin Elizabeth mit Prinz Philip: Die Einwohner von Shepardsford leiden wie wohl noch das ganze Land an den Nachwehen des Krieges, haben nichts zu essen, aber die Dorfhonoratioren wollen dennoch britisch standesgemäß feiern: Ein Schwein muss her. Wenn da nur nicht diese blauen Augen des Tieres wären. Da schlägt die Stunde des netten, aber hasenfüßigen Fußpflegers Gilbert Chilvers (Rob Pelzer), seiner ehrgeizig in die Gesellschaft strebenden Frau (herausragend gut: Kristin Hölck) und ihrer überdreht wirrköpfigen Mutter (herausragend komisch: April Hailer).
Die entlarvend witzige Situationskomik packt George Stiles in schmissig swingende Musik, Buch (Ron Cowen, Daniel Lipman) und Songtexte (Anthony Drewe) wurden von Routinier Roman Hinze in spitzzüngiges Deutsch übertragen. Die deutsche Erstaufführung des erst 2011 in London uraufgeführten Musicals ist ein bunter, trotzdem hintergründiger Treffer, wenn auch die Regie des Harald-Schmidt-gestählten Christian Brey sarkastischer hätte zupacken und schwärzer grundiert sein dürfen.