Bangladescher erbauen sich einen „nationalen Traum“
Ein Atomkraftwerk wird gebaut. Es geht um das Prestige der Herrschenden. Ungeachtet der offensichtlichen Gefahren.
Wer auf einer der Landstraßen zwischen der südlichen Hafenstadt Chittagong und dem nordwestlich gelegenen Ruppur in einem Bus unterwegs ist, dem erscheint die Fahrt wie ein Sinnbild für den Bau des ersten Atomkraftwerks in Bangladesch: Der Beifahrer lehnt sich bei 120 km/h aus der Bustür und warnt den dauerhupenden Fahrer vor Rikschas und Büffelkarren, die wie aus dem Nichts auf den von überschwemmten Feldern gesäumten Deichstraßen auftauchen. Von Chittagong sollen ab 2023 Brennstäbe mit angereichertem Uran ins 300 Kilometer nördlich gelegene Ruppur transportiert werden. Dieser Standort war bereits in den 60er-Jahren von den Verantwortlichen Pakistans ausgewählt worden, dem Bangladesch unter dem Namen Ost-Pakistan bis 1971 angehör- te. Der Hauptgrund für die Standortwahl war der Fluss Padma, an dessen Ufer die Stadt Ruppur liegt. Der Fluss soll den Bedarf an Kühl- wasser für das geplante Atomkraftwerk decken. Doch ist der ausgewählte Ort in einer Schwemmebene angesiedelt. Außerdem führt die Padma entweder zu viel Wasser, was zu Erosionen führt, oder kaum Wasser, da Indien in der heißen Jahreszeit seinem östlichen Nachbarn durch die Farakka-Staustufe das Wasser abdreht. Dabei ist Indien am Bau des Kraftwerks beteiligt: Im Februar unterzeichnete der indische Botschafter Pankaj Saran in Moskau einen Vertrag mit der staatlichen russischen Atombehörde Rosatom, welche die beiden Reaktoren in Ruppur mit einer Nennleistung von 1200 MW errichtet.
Um zu verstehen, was Bangladesch bei seinem Atomprogramm antreibt, sei ein letzter Blick nach Indien erlaubt. „Dort geht es allein ums Prestige“, sagt Winfrid de Costa, dessen NGO-Dachverband indische Antiatomaktivisten unterstützt. „Die Politiker in Indien haben sich eingeredet, dass ein Land, das Atomkraftwerke besitzt, automatisch ein fortschrittliches Land sei. Selbst politische Verantwortliche haben mir unter vier Augen bestätigt, dass es bei der Atomenergie nicht um wirtschaftliche Gesichtspunkte gehe. Sie wollen den westlichen Ländern zeigen, dass Indien jetzt dazugehört.“So hat Indien allein offiziell mehr als 50 weitere Kernreaktoren im Bau oder mittelfristig in Planung. Bangladesch führt ähnliche Gründe an. Mehrmals hat Ministerpräsidentin Hasina Wajed erklärt, dass ein Atomkraftwerk in Bangladesch ein „nationaler Traum“sei.