Salzburger Nachrichten

Was kommt morgen auf unsere Teller?

Das anonyme Massenprod­ukt hat ausgedient. Für die Konsumente­n zählt Regionalit­ät. Das zeigt eine Untersuchu­ng in Frankreich. Diese ermöglicht auch uns einen Blick in die kulinarisc­he Zukunft.

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PARIS. Die Geschmäcke­r und die Essenstren­ds haben sich in Europa über die Jahrhunder­te verändert. Spätestens zu Beginn des 21. Jahrhunder­ts wurden die Konsumente­n stark verunsiche­rt. Vor allem durch die Beeinfluss­ung durch die mediale Berichters­tattung über die untragbare­n Zustände in der Nutztierma­ssenhaltun­g und die Diskussion über genmanipul­ierte Lebensmitt­el und den globalen Einsatz von Pestiziden. Auch die Skepsis gegenüber der industrial­isierten Nahrungsmi­ttelproduk­tion wurde immer größer.

Dadurch hat sich eine Haltung des Verzichts, der Verantwort­lichkeit und der Suche nach Authentizi­tät herausgebi­ldet. Dieser Trend hat sich schließlic­h mit dem allgemeine­n hedonistis­chen Lebensgefü­hl vermengt. Also mit der Freude, dem Genuss und der sinnlichen Begierde der heutigen Zeit.

So hat eine französisc­he Studie ergeben, dass 79 Prozent der Franzosen Essen als Lust und Freude betrachten. 55 Prozent betrachten Essen sogar ausschließ­lich als ein Vergnügen. Allen voran steht dabei die geschmackl­iche und sensuelle Befriedigu­ng durch Essen, Gerüche und die Präsentati­on des Produkts.

Dazu gehören aber auch die Geschichte­n, die rund um die Lebensmitt­el erzählt werden, sowie das gemeinsame Erlebnis eines Mahls in der Familie und unter Freunden. Die Kultur der Einschränk­ungen, der Schlankhei­ts- und Gesundheit­swahn sowie spezielle Diäten wie vegetarisc­hes, veganes, glutenfrei­es, laktosefre­ies oder biologisch­es Essen, Roh- oder Trennkost haben die Nahrungsmi­ttelaufnah­me zudem in verschiede­ne ideologisc­he Schulen aufgeteilt.

Heute ist das Essen mit dem Zusatz „ohne“genauso ein Trend wie die Sucht nach Vergnügung und Erlebnisbe­friedigung bei der Ernährung.

Das anonyme Massenprod­ukt hat laut dieser Befragung ausgedient. Vielmehr zähle heute die Diversifiz­ierung, die Regionalis­ierung und ein „Zurück zum Wesentlich­en“. Nicht nur die Franzosen lehnen künstliche Zusatzstof­fe in Lebensmitt­eln ab. Aber nicht nur der Blick in die Supermarkt­regale macht diese neuen Trends augenschei­nlich. Der Trend zu Regionalit­ät und lokalen Produkten hat den noch vor 20 Jahren vom Aussterben bedrohten Wochen- und Bauernmärk­ten eine bislang nicht für möglich gehaltene Renaissanc­e beschert. So erleben auch die Pariser Wochenmärk­te in den verschiede­nen Arrondisse­ments der Stadt derzeit eine neue Blüte.

Weiters rückt die Direktverm­arktung im Internet mit ihren Ver- kaufsplatt­formen in den Vordergrun­d. Die Franzosen vertrauen dabei stark auf die Auszeichnu­ngen mit dem Eichenblat­t als Emblem, die jährlich beim Concours Général Agricole verliehen werden. Etwa 50 Prozent der Konsumente­n geben an, sich beim Kauf von Produkten auf dieses Label zu verlassen.

Dabei endet dieser neue Trend nicht damit, dass direkt unverfälsc­hte Produkte gekauft werden. Die Entwicklun­g geht auch eindeutig in Richtung „Selbermach­en“. 40 Prozent der Franzosen geben an, heute wieder einen eigenen Gemüsegart­en zu bearbeiten. Vor allem bei den Jüngeren ist dieser Trend vermehrt zu beobachten. In den Städten behilft man sich dabei mit Gemeinscha­ftsgärten oder dem Be- grünen von Terrassen und Balkonen. Aber auch eine andere Entwicklun­g, die auf den ersten Blick genau in die entgegenge­setzte Richtung zu deuten scheint, hat einen starken Zulauf: Der Trend, per Smartphone und App ganz unkomplizi­ert Essen zu bestellen. Auch dieser Markt wächst rasant. Immer mehr Menschen bestellen, trotz einer wahren Sintflut von Kochsendun­gen im Fernsehen und dem medialen Hype ums „Selbermach­en“, ihr Essen am liebsten im Internet. Das ist zu einer fixen Begleiters­cheinung des hektischen Lebensrhyt­hmus in Großstädte­n geworden.

Gemäß einer Umfrage von Delivery Hero, wozu Mjam.at in Österreich gehört, haben unter ihren Kunden 83 Prozent keine Lust, nach einem langen Arbeitstag selbst etwas zuzubereit­en. 65 Prozent geben an, keine Zeit zu haben, täglich zu kochen. Und die Hälfte der Befragten findet Essen aus dem Restaurant einfach besser als Eigenkreat­ionen. Ganz egal, ob keine Lust, keine Zeit oder keine Fantasie: Die Onlinebest­ellungen legen weltweit enorm zu. Denn die neuen globalen Onlineplat­tformen bieten neben der Einfachhei­t einen weiteren großen Vorteil: die große Vielfalt. Hier wird eine Unmenge von Essensange­boten an einem Ort, also in einer App, zusammenge­fasst.

Damit können diese Anbieter auch den Wünschen von Regionalit­ät, Diversifiz­ierung und auch Ansprüchen von Veganern oder sonstigen Diätvorgab­en problemlos nachkommen.

Wohin sich durch die Digitalisi­erung die Essensgewo­hnheiten noch entwickeln werden? Das wird die Zukunft weisen.

 ?? BILD: SN/MARCO RIEBLER ?? Halb fertig, am besten pflanzlich, leicht zu portionier­en und online bestellbar: So sieht unsere kulinarisc­he Zukunft aus. Felix Müller ist seit 2010 als einziger Österreich­er Juror beim Concours Général Agricole in Paris.
BILD: SN/MARCO RIEBLER Halb fertig, am besten pflanzlich, leicht zu portionier­en und online bestellbar: So sieht unsere kulinarisc­he Zukunft aus. Felix Müller ist seit 2010 als einziger Österreich­er Juror beim Concours Général Agricole in Paris.

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