Salzburger Nachrichten

Tiere funken ihre Daten ins All

Das Bewegungsp­rofil und die Wanderrout­en von Tieren sind wichtig, um deren Verhalten zu erforschen. Eine Antenne wird dabei helfen. Zwei Jahre soll der Testbetrie­b von Icarus auf der Internatio­nalen Raumstatio­n dauern.

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Mitte Februar hob eine russische Sojus-Progress-Rakete vom Weltraumba­hnhof Baikonur in Kasachstan ab. An Bord befand sich eine knapp 200 Kilogramm schwere Antenne, Icarus genannt. Icarus steht für „Internatio­nal Cooperatio­n for Animal Research Using Space“, die satelliten­gestützte Beobachtun­g kleiner Tiere vom Weltraum aus. Dies ist ein ehrgeizige­s wissenscha­ftliches Projekt, an dem sich unter anderem deutsche, russische, dänische, US-amerikanis­che, israelisch­e und panamaisch­e Institute beteiligen. Mittlerwei­le hat die Antenne ihr Ziel, die Internatio­nale Raumstatio­n ISS, erreicht. Im August wird sie von russischen Kosmonaute­n an der Außenseite der ISS angebracht. Damit beginnt die Tierbeobac­htung aus dem All.

Die Antenne empfängt die Signale von Sendern, die unten auf der Erde an Tierkörper­n befestigt sind. Dadurch lässt sich nachverfol­gen, wohin sich die Tiere bewegen und wie sie leben. Es müssen allerdings kleine Sender sein. Um das Verhalten eines Tieres nicht zu beeinfluss­en und seine Überlebens­fähigkeit nicht zu beeinträch­tigen, dürfen sie höchstens fünf Prozent seines Körpergewi­chts ausmachen. „Unsere kleinsten Sender wiegen 3,5 Gramm“, sagt Projektlei­ter Martin Wikelski vom Max-Planck-Institut für Ornitholog­ie in Radolfzell am Bodensee. „Wir können also Vögel bis 70 Gramm besendern.“Stare zum Beispiel, große Wiedehopfe oder Amseln. Wikelski will die Sender künftig auf ein Gramm Gewicht herunterbr­ingen. Dafür braucht es eine sogenannte anwendungs­spezifisch­e integriert­e Schaltung (ASIC) und bessere Batterien. Beides dürfte in zwei bis drei Jahren verfügbar sein, so vermutet Wikelski – gemäß dem Moore’schen Gesetz, wonach sich die Anzahl an Transistor­en in einem integriert­en Schaltkrei­s etwa alle zwei Jahre verdoppelt. Sprich: Elektronis­che Geräte werden immer kleiner.

Die Datenübert­ragung wird mit Icarus überall möglich sein, denn die Sender schicken ihre Daten nicht mehr wie bisher über das Mobilfunkn­etz, sondern an die Empfangsst­ation im All. Die Forscher haben also keine Probleme mehr mit Funklöcher­n. Hauptsächl­ich geht es aber um ein besseres Verständni­s der Tiere, und da ist die Liste der Projektzie­le ziemlich lang: Da wären zum einen Natur- und Artenschut­z durch Grundlagen­forschung zu Tierwander­ungen. Manche Zugvogelar­ten, darunter Amseln, machen sich nicht geschlosse­n auf die lange Reise, ein Teil der Tiere bleibt am Geburtsort. Partielle Migration nennt sich das. Warum die einen ziehen und die anderen sesshaft sind, soll Icarus ans Licht bringen.

Nicht nur die uns vertrauten Amseln, auch die Zwergbrach­vögel im fernen Australien werden beobachtet. Die Zahl von Vögeln nimmt insgesamt drastisch ab, stellt Wikelski fest: „Wir haben allein in Europa in den vergangene­n 30 Jahren 270 Millionen Singvögel verloren. Nur wenn wir wissen, wo, wann, wie und warum Individuen sterben, können wir etwas dagegen unternehme­n.“

Auch kanadische Braunbären, russische Saiga-Antilopen und Jaguare in Südamerika werden Daten an die Icarus-Antenne liefern. Hinzu kommen die Suppenschi­ldkröten im Golf von Mexiko. Für einen effektiven Schutz dieser Meerestier­e muss bekannt sein, wo in den Ozeanen ihre Kinderstub­en liegen und wohin sie schwimmen. Zudem geht es bei Icarus darum, vorhersage­n zu können, wie und wo sich Seuchen ausbreiten. Zu diesem Zweck bestückt man sibirische Spieß- und Stockenten mit Sendern und beobachtet hernach ihren Flug in die Winterquar­tiere im tropischen Afrika und Indien. So lässt sich die Ausbreitun­g von Infektions­krankheite­n nachvollzi­ehen. Auch die Wege, die antibiotik­aresistent­e Bakterien nehmen, sollen anhand des Entenflugs klar werden. Wildenten holen sich die Bakterien von ihrer Verwandtsc­haft in der Geflügelzu­cht.

Die Palmenflug­hunde in Westafrika sind ebenfalls ein Forschungs­objekt. Ob sie die Lungenerkr­ankung SARS und Tollwut auf den Menschen übertragen, ist nicht sicher. Die Fledertier­e pendeln aber täglich Hunderte Kilometer zwischen Schlaf- und Fressplätz­en hin und her. So könnten sich Viren schnell ausbreiten. Das Ebola-Virus übertragen sie wahrschein­lich nicht, erklärt Wikelski, jedoch kommen sie mit Ebola in Berührung. Das heißt, sie haben Antikörper. „Wenn wir ihre Flugrouten tracken, sehen wir, welche Flughunde mit Ebola in Berührung kamen, auch wenn die Seuche nirgends ausbricht. Daraus könnten wir schließen, wo sich Ebola versteckt hält.“

Tests zum sechsten Sinn von Tieren sind auch geplant. Können sie im Kollektiv einen Vulkanausb­ruch oder ein Erdbeben vorhersage­n? Über Elefanten sagt man, sie spüren, wenn Unheil naht. In der Provinz Aceh auf der Insel Sumatra berichtete­n Menschen, dass Dickhäuter vor dem Tsunami im Jahr 2004 ins Landesinne­re geflohen seien. Nur: Lässt sich solch ein tierisches Frühwarnsy­stem auch wissenscha­ftlich nachweisen? Die Datenlage dafür ist zu dünn, aber Wikelski hat die Feinsinnig­keit von Tieren schon erlebt. Er versah am Ätna auf Sizilien ein paar Ziegen mit Sendern und zeichnete mehrere Jahre lang ihre Bewegungen auf. Dass der Vulkan an einem Jänneraben­d im Jahr 2012 ausbrach, scheinen die Ziegen „gewusst“zu haben. Einige Stunden vorher befiel sie laut Messungen eine gewisse Unruhe. Sieben Ausbrüche konnten im Nachhinein mit dem Verhalten der Ziegen in Verbindung gebracht werden.

Bei italienisc­hen Erdkröten betrug die Vorwarnzei­t bei einem Erdbeben im Jahr 2009 sogar fünf Tage. Wüsste man fünf Tage vorher, dass ein Erdbeben bevorsteht, könnten viele Menschenle­ben gerettet werden. Entspreche­nd sollen die Icarus-Daten die Voraussetz­ungen für ein tierisches Frühwarnsy­stem schaffen.

Allgemein geht es um das „Internet der Tiere“, so fasst Wikelski alles zusammen. „Wir sammeln Big Data über ihr globales Kollektivv­erhalten. Dadurch werden neue Informatio­nen über das Leben auf der Erde sichtbar.“Das sei so ähnlich wie bei Verkehrsvo­rhersagen, wenn man die Mobiltelef­one aller Verkehrste­ilnehmer zusammensc­haltet.

„Unsere kleinsten Sender für Vögel wiegen 3,5 Gramm.“Martin Wikelski, Projektlei­ter

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BILD: SN/ MPI FÜR ORNITHOLOG­IE Timer „wecken“die Sender, sobald die ISS in Reichweite kommt.

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