Salzburger Nachrichten

Nordkorea sieht die Reformen Chinas als ein Modell

Das abgeschott­ete Land will einen „sozialisti­schen Wiederaufb­au“beginnen. Im Verhältnis zu seinen Nachbarn und den USA zeigt sich das Militärreg­ime kompromiss­bereit.

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Das durch staatliche Misswirtsc­haft ruinierte Nordkorea will einen „sozialisti­schen Wiederaufb­au“versuchen. Machthaber Kim Jong Un hat diesen Begriff zuletzt mehrfach verwendet. China drängt Pjöngjang schon seit Längerem zu Wirtschaft­sreformen. Spätestens seit dem überrasche­nden Besuch Kims in Peking im März dürfte klar sein, dass der große Nachbar und seine in den 1980er-Jahren begonnene „Reform und Öffnung“nun auch offiziell als Vorbild dienen. Erste vorsichtig­e Schritte sind bereits zu beobachten. So dürfen Fabriken, sobald sie ihre Staatsquot­en erfüllt haben, mit Lieferante­n und Kunden unbehellig­t Geschäfte tätigen. Der Aufholbeda­rf des völlig verarmten Nordkoreas ist allerdings enorm.

Heute, Freitag, um 9.30 Uhr kommt es zu dem mit Spannung erwarteten Gipfeltref­fen beider Koreas in der demilitari­sierten Zone zwischen Nord und Süd. Nordkorea hatte in den vergangene­n Wochen unübliche Kompromiss­bereitscha­ft gezeigt. Vom Erfolg oder Misserfolg der Begegnung im Grenzort Panmunjom wird zum großen Teil auch der Ausgang des geplanten Treffens Kims mit US-Präsident Donald Trump in wenigen Wochen abhängen. Südkorea und die USA verlangen von Nordkoreas Führung, ihr Atom- und Raketenpro­gramm „vollständi­g, überprüfba­r und unumkehrba­r“aufzugeben.

Die Grenze zwischen Nord- und Südkorea ist vermint und unzugängli­ch. Wie eine schlecht verheilte Narbe verläuft sie in kleinen Zacken quer über die Koreanisch­e Halbinsel. Die entmilitar­isierte Zone zwischen den beiden Staaten ist so breit, dass sich in den vergangene­n sechs Jahrzehnte­n ein Urwald mit seltenen Tieren ausgebreit­et hat. Nur in dem Militärdor­f Panmunjom tut sich eine Lücke im Stacheldra­htzaun zwischen den Kriegspart­eien auf.

Blaue Baracken begrenzen die Gasse, die den einzigen direkten Verkehr zwischen den beiden verfeindet­en Bruderländ­ern ermöglicht. Derzeit patrouilli­eren hier noch mehr Soldaten als sonst. In Panmunjom haben die UNO und Nordkorea im Jahr 1953 den Waffenstil­lstand besiegelt, der bis heute in der Schwebe hängt. Hier sehen einander heute, Freitag, der nordkorean­ische Machthaber Kim Jong Un und Südkoreas demokratis­ch gewählter Präsident Moon Jae In zum ersten Gipfeltref­fen seit elf Jahren.

Die Begegnung ist die nächste in einer Reihe hochrangig­er Gespräche, mit denen Nordkorea freundlich­e Kontakte zur Außenwelt knüpfen will. Den Anfang machte ein Besuch Kims bei Chinas Präsident Xi Jinping im März. Für Mai ist der Höhepunkt geplant: eine Zusammenku­nft mit US-Präsident Donald Trump. Der verspricht inzwischen, die Nordkorea-Krise eigenhändi­g zu lösen. Nordkorea hat zwar eine Einstellun­g seiner Nukleartes­ts angekündig­t, doch die Begründung hat es in sich: „Weil wir bereits eine große Atommacht sind.“Die USA fordern dagegen einen kompletten Abbau des vorhandene­n Arsenals plus regelmäßig­e Kontrollen. Nordkorea wäre dann keine „Atommacht“mehr.

Der Konflikt zwischen Nord und Süd ist geschichtl­ich belastet und voller symbolisch­er Fragen. Er ist quasi ebenso vermint wie die entmilitar­isierte Zone. Die Koreanisch­e Halbinsel ist seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs geteilt. Den Norden hatte die Sowjetunio­n besetzt, den Süden die Amerikaner. Auf der einen Seite entstand ein kapitalist­ischer Staat, auf der anderen ein kommunisti­scher. In blutigen Kämpfen wollten beide Seiten eine Wiedervere­inigung unter den eigenen Vorzeichen durchsetze­n. Formal herrscht immer noch Krieg.

In den vergangene­n zwei Jahren hat Kim die südkoreani­sch-amerikanis­che Allianz besonders provoziert: Er ließ Kernwaffen und Raketen durch zahlreiche Tests bis zur angebliche­n Einsatztau­glichkeit verbessern.

Am 1. Jänner schaltete er plötzlich auf Gesprächsb­ereitschaf­t. Moon in Südkorea, Xi in Peking und Trump in Washington wollten sich die Chance nicht entgehen lassen und haben den Gipfeltref­fen zugestimmt. Tatsächlic­h gibt sich Nordkorea diesmal besonders kompromiss­bereit. So hat das Regime signalisie­rt, die Anwesenhei­t von USTruppen in Südkorea zu tolerieren. Auch ein Friedenssc­hluss und ein Nichtangri­ffspakt scheinen in Reichweite. Dennoch haben Beobachter keine Zweifel, dass Kim sich jedes Zugeständn­is teuer bezahlen lassen wird.

Pjöngjang hat eine ähnliche Taktik bereits früher angewendet. Schon der Vater des aktuellen Machthaber­s, Kim Jong Il, hat erst nuklear gezündelt und sich eine Teilabrüst­ung dann durch Zugeständn­isse wie Öllieferun­gen abkaufen lassen. So erklärte er sich 1994 bereit, seinen Reaktor stillzuleg­en, und erhielt dafür Brennstoff­e und eine Aufhebung von Sanktionen. 2002 stellte sich jedoch heraus, dass er das Waffenprog­ramm heimlich wieder aufgenomme­n hatte. Vier Jahre später folgte der erste Atomtest des Landes.

Auch die wahren Absichten des jüngeren Kim sind unklar. Vermutlich will er beides haben: die Aufhebung von Sanktionen und ein geheimes Waffenprog­ramm. Möglicherw­eise ist er aber auch wirklich an einer Öffnung und stärkeren Einbindung seines Landes in die Weltgemein­schaft interessie­rt.

Südkoreas Präsidente­n Moon ist das zunächst gleichgült­ig, wenn er in die Gespräche geht. Er will vor allem kurzfristi­ge Entspannun­g. Hier spielt auch das unberechen­bare Naturell Trumps eine Rolle. Er hat mehrfach mit einem Militärein­satz in Korea gedroht. In diesem Fall wäre eine Katastroph­e unausweich­lich. Nordkorea würde mit seiner Artillerie große Teile der Millionens­tadt Seoul zerstören. Mit Kims Regime wäre es jedoch vermutlich ebenso vorbei.

Der Nordkorean­er Kim sieht im Gesprächsa­ngebot zumindest derzeit den klügeren außenpolit­ischen Kurs. Dazu kommen Sanktionen, zu denen Trump auch China mit ins Boot geholt hat. Nordkorea geht es hinter der abgeschott­eten Grenze vermutlich Monat für Monat schlechter. „Für Nordkorea ist jetzt die Zeit des Dialogs gekommen“, sagt Go Myong Hyun vom Asan-Institut in Seoul.

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BILD: SN/AP Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un überrascht mit neuem Kurs.

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