Nordkorea beginnt einen „sozialistischen Wiederaufbau“
Ein Reformprogramm des Regimes nach chinesischem Vorbild bringt der Bevölkerung erste kleine Freiheiten.
Nordkoreas Führer Kim Jong Un will der Weltgemeinschaft die Hand reichen – und spricht von Wirtschaftsreformen. Kim versucht, an das China der 80er-Jahre anzuknüpfen, als Deng Xiaopings „Reform und Öffnung“das Land von Grund auf änderte. Seit Längerem schon drängt Peking, dass Nordkorea seinem wirtschaftlichen Reformprogramm folgt. Kim spricht seit Neuestem von „sozialistischem Wirtschaftsaufbau“. Der aber hat einen langen Weg vor sich.
Das durch staatliche Misswirtschaft ruinierte Nordkorea liegt am Boden. Noch in den Jahren nach dem Krieg war Nordkorea reicher als der Süden. Es profitierte von einer Entscheidung der alten Kolonialmacht Japan, Industrialisierung im Norden zu konzentrieren, wo es mehr Bodenschätze und Wasserkraft gab als im weitgehend landwirtschaftlich geprägten verarmten Süden. Doch mit dem Fall des Sowjetimperiums begann der Fall Nordkoreas, während Südkorea unter dem Schutz der USA inzwischen zur viertgrößten Volkswirtschaft Asiens avancierte.
Heute sind Nordkoreas Wirtschaftsdaten dermaßen desolat, dass das Regime nicht einmal mehr Zahlen zum Bruttoinlandsprodukt veröffentlicht. Trotzdem hat sich insbesondere in Pjöngjang, einer Retortenstadt inmitten verwahrloster Provinzen, die Lage verbessert. Dort wird gebaut, es herrscht Verkehr, Konsumgüter aus China stehen in Regalen und – vor wenigen Jahren noch undenkbar – selbst Burger und Pizza sind zu haben. Dank Pjöngjang verzeichnete Nordkorea 2016 das schnellste Wachstums seit 17 Jahren, trotz scharfer UNO-Sanktionen.
Mit China und auch Vietnam hat Kim Jong Un zwei Beispiele für kommunistische Parteien, die den Kapitalismus angenommen haben und deren Macht durch wachsenden Wohlstand nicht gefährdet, sondern noch gestärkt wurde.
Fabrikmanagern in Nordkorea ist es bereits erlaubt, mit Lieferanten und Kunden ihrer Wahl zu frei ausgemachten Preisen zu handeln, sobald sie die vom Staat zugeteilten Quoten erfüllt haben. Staatliche Unternehmen können Tochtergesellschaften gründen und sich in neuen Bereichen diversifizieren, wie etwa die nationale Fluggesellschaft Air Koryo, die neuerdings auch mit Taxis und Softdrinks Geld verdient.
Bauern können auf eigenen Parzellen von fast 100 Quadratmetern anbauen, was sie wünschen, und auf den „Jangmadang“-Bauernmärkten verkaufen, die offiziell zwar verboten, aber in jeder Stadt und Ortschaft zu finden sind.
Nordkoreas Aufholbedarf bleibt jedoch gigantisch. Es mangelt an Strom, Treibstoff, Maschinen, Ersatzteilen, Infrastruktur. Fast die Hälfte der Bevölkerung gilt als unterernährt und isst weniger als die von der UNO empfohlene Mindestmenge von 2500 Kalorien täglich.
Weil der Staat versagt, setzt Kim auf begrenzte Privatisierung als Wirtschaftsmotor. Das erfordert aber, der streng kontrollierten Gesellschaft Freiheiten einzuräumen, ohne an der Staatsideologie zu rütteln. In der Sowjetunion konnte Chruschtschow Stalin verurteilen, in China kritisierte Deng den großen Führer Mao. Für Kim ist dies unmöglich. Seine Macht beruht auf dem Familienerbe.
Als der Jungdiktator im März in Peking auch die Technikzone Zhongguancun besuchte, schrieb er ins Gästebuch: „Wir können die Mächtigkeit Chinas fassen.“China hat Kim beeindruckt. Der „sozialistische Wirtschaftsaufbau“ist seine Antwort darauf.