„Ich werd hier weitersaufen“
Mit dem Trinken ist Schluss: Ab heute, Freitag, herrscht am Wiener Praterstern Alkoholverbot. Ob es die Szene wirklich abschreckt? Ein Lokalaugenschein.
Eine Kupfermünze nach der anderen steckt ein Mann im grauen Kapuzenpulli Donnerstagvormittag in die Selbstzahlerkassa eines Geschäfts am Wiener Praterstern. Er ist unrasiert, nass vom Regen. Andere halten Abstand, wegen des strengen Geruchs, den er verströmt. Leise zählt er das Geld mit. 45, 50, 55 Cent – so viel legt er für ein Dosenbier aus. Er steckt es ein und taucht in die Menschenmenge am Bahnhof ein. Es ist eine der letzten „Hüsn“, die er hier trinken darf.
Heute, Freitag, tritt das Alkoholverbot am Praterstern in Kraft. Erlassen hat es der Magistrat der Stadt Wien. So will man für Ordnung an einem Brennpunkt sorgen, der bis zur Gesetzesverschärfung 2017 ein zentraler Umschlagplatz für Drogen war. Heute muss die Rettung etwa alle drei Tage zu einer betrunkenen, reglosen Person ausrücken. Rangeleien und Pöbeleien innerhalb der Szene sind an der Tagesordnung. Das Alkoholverbot gilt am Bahnhof und auf angrenzenden Flächen. Ausgenommen sind Imbisse und Lokale. Laut dem Wiener Polizeipräsidenten Gerhard Pürstl soll das Verbot „sensibel“umgesetzt werden. Erst werde es Ermahnungen geben. Polizisten können alkoholische Getränke abnehmen. Bei Anzeigen bewegen sich dann die Strafen zwischen 70 und 700 Euro.
Rund 150.000 Leute sind täglich am Praterstern unterwegs, hasten zwischen U-Bahn, Zügen und Straßenbahn hin und her. Mit ihren grünen Jacken stechen Dominika Zelent und Lukas Brauneiss hervor. Die Sozialarbeiter kommen von „Das Stern“, einer Einrichtung des Roten Kreuzes. Obdachlose finden dort tagsüber Unterschlupf, warmes Essen und Kleidung. Zelent und Brauneiss kennen die meisten der zwischen 20 und 50 Leute, die zum Trinken zusammenkommen.
„Hallo“, ruft ein Mann und humpelt im Regen auf sie zu. Der Ungar treibt sich seit 21 Jahren am Praterstern herum. Er hat weder Arbeit noch Wohnung, schläft mit seiner Freundin im Park. Unter der abgewetzten Lederjacke zieht er einen Doppelliter Rotwein hervor. Was er vom Alkoholverbot hält? „Nix. Ich werd hier weitersaufen“, sagt er und grinst. In der Jacke könne er viel verstecken. „Ich bin ein altes Möbel, ich geh nicht weg“, erklärt er und rückt sein Nasenpiercing zurecht.
Eine Ecke weiter lebt ein anderer Klient des Roten Kreuzes. Auf dem Boden. Seine paar Habseligkeiten liegen am Gehsteig. Den Schlafplatz hat er schlau gewählt: Er befindet sich vor einer Öffnung, aus der die Abluft eines Asia-Restaurants strömt. Es riecht nach Frittiertem – aber es ist warm. Der Mann kam 1989 aus Polen nach Wien. Er stützt sich auf eine Krücke und sagt in gebrochenem Deutsch, dass auch er dem Alkoholverbot trotzen wolle. Sein Trick: „Ich mische mir meinen Schnaps in eine Colaflasche.“
In einem ihrer Rucksäcke haben Zelent und Brauneiss Infomaterial, im anderen Erste-Hilfe-Utensilien. Beatmungsgerät inklusive. Manchmal stoßen sie auf Situationen, in denen sie Betrunkenen helfen müssen. Wegen des Alkoholverbots erwarten sie, dass nun wohl mehr Menschen den Weg in „Das Stern“finden werden. Maximal 55 Frauen und Männer können in dem Zentrum ihren Tag verbringen. Bier und Wein sind dort übrigens erlaubt.