„Wenig Wissen über NS-Zeit da“
Historikerin Helga Embacher will Debatte über konkrete Geschichte.
Am 30. April 1938 wurde auf dem Residenzplatz die damals erste Bücherverbrennung in der „Ostmark“durchgeführt. Verbrannt wurden rund 1200 Werke, sagt Historikerin Helga Embacher. SN: Wer waren die Akteure der Bücherverbrennung? Embacher: Akteure waren der NS-Lehrerbund, die Hitlerjugend, vor allem aber Karl Springenschmid. Der Impuls zur Bücherverbrennung kam also nicht aus der Bevölkerung heraus, sondern es war eine „von oben“organisierte Veranstaltung. SN: Welche Funktion hatte Springenschmid damals? Er war ab Oktober 1932 Leiter des illegalen NS-Lehrerbundes, später bei der SA und dann bei der zivilen SS. Nach dem „Anschluss“im März 1938 wurde er Landesrat für Erziehung. Und: Springenschmid wurde 1935, mit nur 38 Jahren, aus dem Schuldienst entlassen – wegen seiner illegalen NS-Aktivitäten – und fühlte sich als politisches Opfer des „austrofaschistischen Ständestaates“. SN: Warum fand diese erste Bücherverbrennung in der „Ostmark“in Salzburg statt? Ein Grund war, dass der Salzburger Lehrerverein schon vor dem Anschluss nationalsozialistisch unterwandert war. Und Springenschmid hatte großen Hass auf den Ständestaat. Daher richtete sich die Bücherverbrennung neben jüdischen Schriften vor allem gegen Autoren des politischen Katholizismus sowie des Ständestaats – wie dessen Unterrichtsminister Hans Perntner, Kaisersohn Otto Habsburg-Lothringen, den Schriftsteller Joseph August Lux oder Ex-Bundeskanzler Kurt Schuschnigg. Aber auch Werke von Stefan Zweig und Max Reinhardt wurden verbrannt. SN: Warum fand die Aktion gerade am 30. April statt? Im April 1938 waren alle NSAmtsträger in Österreich nur kommissarisch eingesetzt. Sie wurden erst im Mai von Berlin bestätigt. Daher haben sich wohl einige Leute in Szene gesetzt, um sich nach oben zu beweisen – auch durch die Bücherverbrennung. Interessant ist, dass bei der Aktion selbst neben der HJ auch ein Soldat, ein Bauer und ein Arbeiter da waren, um Bücher ins Feuer zu werfen. Und: Der 30. April ist der Tag vor dem 1. Mai, dem „Tag der Arbeit“, der damit auch vom sozialdemokratischen Feiertag weg umgedeutet wurde. SN: Es gab 1938 später auch Bücherverbrennungen in Thalgau, Steyr, Wels und im Burgenland. Was ist davon schon erforscht? Gut erforscht ist Thalgau. Dort war auch ein Lehrer beteiligt. Sie fand am 21. Dezember statt und es wurde auch die Kirchenfahne verbrannt, was auf die antiaustrofaschistische Position hindeutet. In Steyr fand die Bücherzusammen mit einer Thora-Verbrennung statt. Und im Kärntner Gailtal gab es Bücherverbrennungen an einer Schule. Aber es wäre spannend, da mehr zu erforschen. SN: Warum kommt das Bücherverbrennungs-Mahnmal auf dem Residenzplatz erst jetzt – 80 Jahre später? Das ist kein Salzburger Spezifikum. Der Holocaust wurde in Österreich in ersten Anzeichen ab 1960 mit dem Eichmann-Prozess und später ab 1986 mit der „Waldheim-Affäre“breiter thematisiert. Eine erste Aktion für das Mahnmal in Salzburg gab es 1987; 2007 gab es einen weiteren Anlauf. Historiker Ernst Hanisch hat aber schon in den 70er-Jahren einen Aufsatz dazu geschrieben; Gert Kerschbaumer in den 80er-Jahren erstmals ein Denkmal gefordert. Aber durch die lange Diskussion über die Umgestaltung des Residenzplatzes hat sich auch die Mahnmal-Debatte so lange gezogen. SN: Was sagen Sie zur Kritik vom KZ-Verband, dass der Mahnmal-Standort nicht genau dem Ort der Bücherverbrennung entspricht? Aus meiner Sicht ist es nicht so zentral, wo genau das Denkmal steht. Wichtiger ist die Frage, wie man mit dieser Geschichte umgeht und was man aus ihr lernt. Zentral ist, dass man schafft, dass sich möglichst viele Menschen damit auseinandersetzen. Das Problem ist, und die Erfahrung mache ich auch mit Studierenden oder bei Lehrerfortbildungen, dass heute kaum mehr konkretes Wissen über den Nationalsozialismus da ist. Dabei wäre gerade die Bücherverbrennung ein Anlass, sich wieder mehr mit dem Austrofaschismus zu beschäftigen, also mit der Frage: Wie kam es dazu? Was war die Vorgeschichte? Und was hat der Lehrerverein genau gemacht? Veranstaltung:
„Verbrennung richtete sich gegen den Ständestaat.“