Salzburger Nachrichten

Kurz, das Staunen der Welt

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Bescheiden­heit ist eine Zier, doch weiter kommt man ohne ihr. Getreu diesem Motto wies der Bundeskanz­ler diese Woche darauf hin, dass seine Partei neun Jahre lang bei allen Landes- und Bundeswahl­en ein Minus eingefahre­n habe, seit einigen Monaten (gemeint: seit er die ÖVP führt) aber alle Wahlen gewinne. Das ist, wie gesagt, nicht gerade bescheiden ausgedrück­t, aber ebenso wahr wie erstaunlic­h. Bald wird man Sebastian Kurz den Titel „stupor mundi“– „Das Staunen der Welt“– verleihen.

Der erste Träger dieses Titels war der Stauferkai­ser Friedrich II., der das Mittelalte­r zwar nicht mit Wahlergebn­issen (so etwas hatte er nicht notwendig), wohl aber mit anderen Dingen in Erstaunen versetzte. Er trat als Sachbuchau­tor hervor und schrieb ein Standardwe­rk über die Falkenjagd. Er umgab sich mit einer Leibgarde aus exotischen Mauren. Er reiste in Begleitung von Kamelen, die Türmchen auf dem Rücken trugen, von deren Zinnen aus niedliche Pagen mit silbernen Trompeten das Loblied ihres Herrn schmettert­en.

Und er baute in Apulien ein achteckige­s Fort, von dem man zwar bis heute nicht genau weiß, wozu es eigentlich gut war, das aber die ersten Wasserklos­etts der europäisch­en Baugeschic­hte beherbergt haben soll. Na, wenn das kein Grund zum Staunen war!

Die Parallelen zwischen Friedrich II. und unserem Kanzler sind augenfälli­g. Auch Kurz ist als Sachbuchau­tor hervorgetr­eten und hat an einem Standardwe­rk über sich selbst mitgewirkt. Er umgibt sich mit exotischen Schwarzen, die türkis sind. Er beschäftig­t PR-Experten, gegen die silbern trompetend­e Pagen auf Kamelen die reinsten Waisenknab­en sind. Und er trägt sich mit geheimnisv­ollen Bauplänen, laut denen das neuneckige Bundesländ­er-Fort Österreich zu einem ... nun, das weiß man noch nicht so genau, umgebaut werden soll.

Schlossher­r auf Kurzens Reformbau soll Verfassung-Reform-Deregulier­ungJustizm­inister Josef Moser werden. Gewiegte Beobachter gehen freilich davon aus, eher trompetet ein Landeshaup­tmann auf dem Kamelrücke­n, bevor das wirklich geschieht. Aber das ist jetzt nur so eine Prognose.

Apropos: Der „stupor mundi“hatte eine einzige Schwäche – er war kein guter Prognostik­er. Als er 1235 die englische Prinzessin Isabella heiratete, entließ er seine Gemahlin nach der Hochzeitsn­acht mit den gütigen Worten: „Gib acht auf dich, denn du hast einen Knaben empfangen.“Die Zeitgenoss­en sahen darin die wundersame­n Kräfte am Wirken, die dem erstaunlic­hen Kaiser zu eigen waren. Nach der üblichen Frist wich das Erstaunen allerdings einer gewissen Ernüchteru­ng, den die Kaiserin brachte ein Töchterche­n zur Welt.

So etwas nennt man Künstlerpe­ch. Aber Friedrich II. musste sein Geld ja ohnehin nicht als Zukunftsfo­rscher verdienen, und zwei Jahre später bekam Isabella doch noch einen Knaben. Heutige Wahlprogno­stiker würden sagen, das liege noch innerhalb der statistisc­hen Schwankung­sbreite.

Von seinem Großvater hätte Friedrich übrigens wissen können, dass richtige Prognosen mitunter schlimmer sind als falsche. Denn da Wahrsager ihm prophezeit hatten, dass er im Wasser ums Leben kommen werde, wählte Kaiser Barbarossa auf seinem Kreuzzug ins Heilige Land nicht den See-, sondern sicherheit­shalber den Landweg. Und was passierte auf dieser beschwerli­chen Reise? Er ertrank in einem Fluss.

Sebastian Kurz hält sich mit Vorhersage­n zurück. Er prophezeit nicht etwa, dass auf die neun mageren Jahre der ÖVP nun neun fette Jahre folgen würden. Er sagt immer nur, was er in den nächsten 100 Tagen vorhat. Und keinesfall­s wird er zu unserem Land sagen: „Gib acht auf dich, denn du hast einen Reformkanz­ler empfangen.“

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