Alt, aber noch lange nicht überholt
Gerade am Tag der Arbeit sollte man sich daran erinnern, dass in Österreich Arbeitskonflikte meist im Konsens geregelt wurden.
Der 1. Mai: Für die Sozialdemokratie und die Gewerkschaften ist das der Feiertag der Arbeiterbewegung. Zehntausende Menschen werden etwa in Wien an der Parteispitze vorbeimarschieren. SPÖ-Chef Christian Kern hat angekündigt, dass er dabei den sozialdemokratischen Entwurf für ein sozialeres und gerechteres Land skizzieren will. Trotzdem stellt sich die Frage, ob der 1. Mai inzwischen mehr ist als sozialdemokratische Folklore, die man pflegt, weil man es immer schon getan hat. Der SPÖ scheint es da ein wenig wie der katholischen Kirche zu gehen. Auch ihre Feiertage wie Weihnachten, Ostern und Pfingsten werden von der Bevölkerung gern angenommen, aber nur ein Teil davon kann mit den Inhalten noch etwas anfangen oder weiß überhaupt, worum es dabei eigentlich geht.
Dabei sind die Fragen, an die der 1. Mai erinnert, aktueller denn je. Gibt es so etwas wie eine „gerechte“Gesellschaft, in der alle Mitglieder ein ökonomisch halbwegs sicheres und deshalb ansprechendes Leben haben können? Und wie könnte das ausschauen? Fragen, die übrigens die Welt nicht erst beschäftigen, seit es die Arbeiterbewegung gibt.
Die Antworten fallen je nach Standpunkt des Betrachters unterschiedlich aus. Ein kleines, typisches Beispiel dafür ist die von der Regierung geplante Verlängerung der täglichen Arbeitszeit auf zwölf Stunden in bestimmten Ausnahmefällen. Die SPÖ hält dies für einen Anschlag auf die Rechte der Arbeitnehmer, die Wirtschaft wiederum sieht dies als unbedingt notwendig an, um die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen zu erhalten und damit auch die Arbeitsplätze.
Arbeitnehmer und Arbeitgeber haben in vielen Fällen eben nicht immer dieselben Interessen. Wobei die Gegensätze in Zeiten der Hochkonjunktur leichter zu überbrücken sind, weil mehr zum Verteilen da ist. So unterschiedlich die Standpunkte auch sind, in den vergangenen Jahrzehnten hat gerade Österreich gezeigt, dass diese ohne allzu große Auseinandersetzungen aus der Welt geschafft werden können. Die nun oft kritisierte Sozialpartnerschaft war das Vehikel dafür, dass Konflikte am grünen Tisch und nicht auf der Straße ausgetragen wurden.
Vielleicht sollte man sich gerade an diesem 1. Mai daran erinnern. Denn irgendwie wird man das Gefühl nicht los, dass die Lust an der Konfrontation, am Drüberfahren und Nicht-mehr-miteinander-reden-Wollen in den letzten Monaten in diesem Land deutlich zugenommen hat. Auf allen Seiten.