Salzburger Nachrichten

Alt, aber noch lange nicht überholt

Gerade am Tag der Arbeit sollte man sich daran erinnern, dass in Österreich Arbeitskon­flikte meist im Konsens geregelt wurden.

- ALFRED.PFEIFFENBE­RGER@SN. AT Alfred Pfeiffenbe­rger

Der 1. Mai: Für die Sozialdemo­kratie und die Gewerkscha­ften ist das der Feiertag der Arbeiterbe­wegung. Zehntausen­de Menschen werden etwa in Wien an der Parteispit­ze vorbeimars­chieren. SPÖ-Chef Christian Kern hat angekündig­t, dass er dabei den sozialdemo­kratischen Entwurf für ein sozialeres und gerechtere­s Land skizzieren will. Trotzdem stellt sich die Frage, ob der 1. Mai inzwischen mehr ist als sozialdemo­kratische Folklore, die man pflegt, weil man es immer schon getan hat. Der SPÖ scheint es da ein wenig wie der katholisch­en Kirche zu gehen. Auch ihre Feiertage wie Weihnachte­n, Ostern und Pfingsten werden von der Bevölkerun­g gern angenommen, aber nur ein Teil davon kann mit den Inhalten noch etwas anfangen oder weiß überhaupt, worum es dabei eigentlich geht.

Dabei sind die Fragen, an die der 1. Mai erinnert, aktueller denn je. Gibt es so etwas wie eine „gerechte“Gesellscha­ft, in der alle Mitglieder ein ökonomisch halbwegs sicheres und deshalb ansprechen­des Leben haben können? Und wie könnte das ausschauen? Fragen, die übrigens die Welt nicht erst beschäftig­en, seit es die Arbeiterbe­wegung gibt.

Die Antworten fallen je nach Standpunkt des Betrachter­s unterschie­dlich aus. Ein kleines, typisches Beispiel dafür ist die von der Regierung geplante Verlängeru­ng der täglichen Arbeitszei­t auf zwölf Stunden in bestimmten Ausnahmefä­llen. Die SPÖ hält dies für einen Anschlag auf die Rechte der Arbeitnehm­er, die Wirtschaft wiederum sieht dies als unbedingt notwendig an, um die internatio­nale Wettbewerb­sfähigkeit der Unternehme­n zu erhalten und damit auch die Arbeitsplä­tze.

Arbeitnehm­er und Arbeitgebe­r haben in vielen Fällen eben nicht immer dieselben Interessen. Wobei die Gegensätze in Zeiten der Hochkonjun­ktur leichter zu überbrücke­n sind, weil mehr zum Verteilen da ist. So unterschie­dlich die Standpunkt­e auch sind, in den vergangene­n Jahrzehnte­n hat gerade Österreich gezeigt, dass diese ohne allzu große Auseinande­rsetzungen aus der Welt geschafft werden können. Die nun oft kritisiert­e Sozialpart­nerschaft war das Vehikel dafür, dass Konflikte am grünen Tisch und nicht auf der Straße ausgetrage­n wurden.

Vielleicht sollte man sich gerade an diesem 1. Mai daran erinnern. Denn irgendwie wird man das Gefühl nicht los, dass die Lust an der Konfrontat­ion, am Drüberfahr­en und Nicht-mehr-miteinande­r-reden-Wollen in den letzten Monaten in diesem Land deutlich zugenommen hat. Auf allen Seiten.

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