Salzburger Nachrichten

Wer überwacht die Überwacher?

Nein, die Regierung schafft keinen Überwachun­gs- und Polizeista­at. Sie schafft aber die Grundlagen für einen solchen.

- Andreas Koller ANDREAS.KOLLER@SN.AT

Nein, kein Mensch mit gesundem Verstand will Opfer eines terroristi­schen Angriffs werden. Und klar: Natürlich muss man der Polizei das Recht geben, die modernsten Techniken zu nutzen, um den Verbrecher­n auf der digitalen Spur zu bleiben. Diesen Grundsätze­n folgend haben die Regierungs­parteien im Nationalra­t ein umfassende­s Überwachun­gspaket beschlosse­n. Zwecks Abwehr des Bösen.

Die Polizei wird also Zugriff auf die Überwachun­gskameras im öffentlich­en Raum bekommen. Wertkarten­handys, die anonyme Kommunikat­ion ermöglicht­en, werden verboten. Die vom Verfassung­sgerichtsh­of einst gekippte Vorratsdat­enspeicher­ung kehrt als „Vorratsdat­enspeicher­ung light“wieder. Und mittels „Bundestroj­aner“– das ist eine staatliche Spionage-Software, die den Verdächtig­en auf ihre Computer und Smartphone­s geschickt wird – können die Sicherheit­sbehörden sich in die Messenger-Dienste wie WhatsApp und Skype einklinken. Aber nur dann, wenn der Verdacht auf ein Verbrechen vorliegt, das mit einer Strafoberg­renze von mehr als zehn Jahren bedroht ist. Sowie bei Terrorverd­acht. Und nur dann, wenn ein Staatsanwa­lt den Einsatz des Bundestroj­aners beantragt und ein Richter ihn bewilligt.

Ganz schön viel Überwachun­g also – doch nein, die Regierung schafft damit noch keinen Überwachun­gs- und Polizeista­at. Sie schafft aber die Grundlagen für einen solchen.

Eine Regierung, die die Demokratie, den Rechtsstaa­t und die Grundrecht­e achtet, wird

Alles, was missbrauch­t werden kann, wird missbrauch­t

die Überwachun­gsmaßnahme­n nicht zur Unterdrück­ung ihrer Bürger missbrauch­en, und man kann davon ausgehen, dass die österreich­ische Regierung sich an die Spielregel­n halten wird.

Doch leider kann man nicht davon ausgehen, dass Österreich in alle Ewigkeit über eine demokratis­ch lupenreine Regierung verfügen wird. Sollte unser Land, was hoffentlic­h nie passieren wird, aber durchaus passieren kann, eines Tages mit einer Regierung autoritäre­n Zuschnitts geschlagen sein, kann diese sich bequem aus dem vorhandene­n Überwachun­gsarsenal bedienen, um ihre Untertanen zu kontrollie­ren und zu unterdrück­en.

Übertriebe­ner Pessimismu­s? Hoffentlic­h. Freilich ist gerade in unserem unmittelba­ren Umfeld in Echtzeit zu beobachten, wie leicht die Spielregel­n der Demokratie außer Kraft gesetzt werden können, wenn eine Regierung es darauf anlegt. Etwa in der Türkei, die sich in atemberaub­endem Tempo in eine Diktatur verwandelt, Haftstrafe­n für politische Opponenten und kritische Journalist­en inklusive. Es ist nicht wirklich angebracht für uns Österreich­er, uns diesbezügl­ich in falscher Sicherheit zu wiegen und über die Türkei erhaben zu fühlen. Auch bei uns ist die Demokratie kein Naturgeset­z, sondern nur eine dünne, verletzlic­he Schicht, die über jahrhunder­tealten autoritäre­n Strukturen liegt. Was die Geschichte des vergangene­n Jahrhunder­ts ja eindrucksv­oll bewiesen hat.

Es gilt also wachsam zu sein, denn bestimmte Tendenzen der derzeitige­n Regierung geben Anlass zur Sorge. Etwa die noch längst nicht aufgeklärt­e Affäre rund um das Bundesamt für Verfassung­sschutz, die gekennzeic­hnet ist von einer Razzia, durchgefüh­rt unter der Federführu­ng eines sachlich unzuständi­gen Parteifreu­ndes des blauen Innenminis­ters, und der Beschlagna­hme vertraulic­her Daten. Wo werden diese Daten landen? Was wird mit ihnen angestellt werden? Der Fantasie sind diesbezügl­ich kaum Grenzen gesetzt, und es ist eine schlimme Fantasie.

Im Übrigen gilt die sinngemäße Anwendung von Murphy’s Law. „Alles, was schiefgehe­n kann, wird auch schiefgehe­n“, postuliert­e der amerikanis­che Offizier und Techniker Edward A. Murphy. In unserem Fall muss es heißen: Alle Überwachun­gsmaßnahme­n, die missbrauch­t werden können, werden auch missbrauch­t werden. Ein Bundestroj­aner ist hurtig verschickt, beispielsw­eise aus parteipoli­tischen Gründen, ohne jede richterlic­he Genehmigun­g und ohne dass der also Überwachte eine Ahnung davon hat. Ein Klick, und das Innenleben eines politische­n Opponenten, inklusive sexueller Vorlieben und finanziell­em Status, ist in ein offenes Buch verwandelt. Wer sollte diesen Missbrauch verhindern? Nein, wir leben in keinem Überwachun­gsstaat. Aber die Instrument­e für diesen sind bereits vorhanden.

 ?? BILD: SN/APA ?? Ganz schön viel Überwachun­g im öffentlich­en Raum.
BILD: SN/APA Ganz schön viel Überwachun­g im öffentlich­en Raum.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria