Wer überwacht die Überwacher?
Nein, die Regierung schafft keinen Überwachungs- und Polizeistaat. Sie schafft aber die Grundlagen für einen solchen.
Nein, kein Mensch mit gesundem Verstand will Opfer eines terroristischen Angriffs werden. Und klar: Natürlich muss man der Polizei das Recht geben, die modernsten Techniken zu nutzen, um den Verbrechern auf der digitalen Spur zu bleiben. Diesen Grundsätzen folgend haben die Regierungsparteien im Nationalrat ein umfassendes Überwachungspaket beschlossen. Zwecks Abwehr des Bösen.
Die Polizei wird also Zugriff auf die Überwachungskameras im öffentlichen Raum bekommen. Wertkartenhandys, die anonyme Kommunikation ermöglichten, werden verboten. Die vom Verfassungsgerichtshof einst gekippte Vorratsdatenspeicherung kehrt als „Vorratsdatenspeicherung light“wieder. Und mittels „Bundestrojaner“– das ist eine staatliche Spionage-Software, die den Verdächtigen auf ihre Computer und Smartphones geschickt wird – können die Sicherheitsbehörden sich in die Messenger-Dienste wie WhatsApp und Skype einklinken. Aber nur dann, wenn der Verdacht auf ein Verbrechen vorliegt, das mit einer Strafobergrenze von mehr als zehn Jahren bedroht ist. Sowie bei Terrorverdacht. Und nur dann, wenn ein Staatsanwalt den Einsatz des Bundestrojaners beantragt und ein Richter ihn bewilligt.
Ganz schön viel Überwachung also – doch nein, die Regierung schafft damit noch keinen Überwachungs- und Polizeistaat. Sie schafft aber die Grundlagen für einen solchen.
Eine Regierung, die die Demokratie, den Rechtsstaat und die Grundrechte achtet, wird
Alles, was missbraucht werden kann, wird missbraucht
die Überwachungsmaßnahmen nicht zur Unterdrückung ihrer Bürger missbrauchen, und man kann davon ausgehen, dass die österreichische Regierung sich an die Spielregeln halten wird.
Doch leider kann man nicht davon ausgehen, dass Österreich in alle Ewigkeit über eine demokratisch lupenreine Regierung verfügen wird. Sollte unser Land, was hoffentlich nie passieren wird, aber durchaus passieren kann, eines Tages mit einer Regierung autoritären Zuschnitts geschlagen sein, kann diese sich bequem aus dem vorhandenen Überwachungsarsenal bedienen, um ihre Untertanen zu kontrollieren und zu unterdrücken.
Übertriebener Pessimismus? Hoffentlich. Freilich ist gerade in unserem unmittelbaren Umfeld in Echtzeit zu beobachten, wie leicht die Spielregeln der Demokratie außer Kraft gesetzt werden können, wenn eine Regierung es darauf anlegt. Etwa in der Türkei, die sich in atemberaubendem Tempo in eine Diktatur verwandelt, Haftstrafen für politische Opponenten und kritische Journalisten inklusive. Es ist nicht wirklich angebracht für uns Österreicher, uns diesbezüglich in falscher Sicherheit zu wiegen und über die Türkei erhaben zu fühlen. Auch bei uns ist die Demokratie kein Naturgesetz, sondern nur eine dünne, verletzliche Schicht, die über jahrhundertealten autoritären Strukturen liegt. Was die Geschichte des vergangenen Jahrhunderts ja eindrucksvoll bewiesen hat.
Es gilt also wachsam zu sein, denn bestimmte Tendenzen der derzeitigen Regierung geben Anlass zur Sorge. Etwa die noch längst nicht aufgeklärte Affäre rund um das Bundesamt für Verfassungsschutz, die gekennzeichnet ist von einer Razzia, durchgeführt unter der Federführung eines sachlich unzuständigen Parteifreundes des blauen Innenministers, und der Beschlagnahme vertraulicher Daten. Wo werden diese Daten landen? Was wird mit ihnen angestellt werden? Der Fantasie sind diesbezüglich kaum Grenzen gesetzt, und es ist eine schlimme Fantasie.
Im Übrigen gilt die sinngemäße Anwendung von Murphy’s Law. „Alles, was schiefgehen kann, wird auch schiefgehen“, postulierte der amerikanische Offizier und Techniker Edward A. Murphy. In unserem Fall muss es heißen: Alle Überwachungsmaßnahmen, die missbraucht werden können, werden auch missbraucht werden. Ein Bundestrojaner ist hurtig verschickt, beispielsweise aus parteipolitischen Gründen, ohne jede richterliche Genehmigung und ohne dass der also Überwachte eine Ahnung davon hat. Ein Klick, und das Innenleben eines politischen Opponenten, inklusive sexueller Vorlieben und finanziellem Status, ist in ein offenes Buch verwandelt. Wer sollte diesen Missbrauch verhindern? Nein, wir leben in keinem Überwachungsstaat. Aber die Instrumente für diesen sind bereits vorhanden.