Retten wir die Unabhängigkeit des ORF! Welche Unabhängigkeit?
Der staatliche Rundfunk unterscheidet sich von den unabhängigen Medien in einem entscheidenden Punkt.
Angesichts der Kritik der FPÖ am ORF sorgen sich derzeit viele Menschen um die Unabhängigkeit des Senders. Tatsächlich ist eine unabhängige, von politischen Einflüssen freie Berichterstattung des staatlichen Rundfunks ein hehres, unbedingt anstrebenswertes Ziel. Aber wie erreicht man es?
Man muss die ORF-Journalisten nur tun lassen, was sie für journalistisch richtig halten, dann ist die Unabhängigkeit der Berichterstattung garantiert, lautet die gängige Antwort. Ein kleines Gedankenexperiment zeigt freilich, dass das nicht ganz stimmen kann.
Angenommen, in den Redaktionen des ORF säßen aus irgendwelchen Gründen ausschließlich schlagende Burschenschafter. Wäre dann dadurch, dass man ihnen freie Hand ließe, das zu tun, was sie für richtig halten, eine unabhängige Berichterstattung garantiert?
Wohl kaum. Das heißt, zur Unabhängigkeit eines Mediums braucht es zweierlei: erstens frei und ungehindert arbeiten könnende Journalisten. Und zweitens – das ist mindestens genauso wichtig – eine von parteipolitischen Einflüssen unabhängige und sich ausschließlich an der Qualität der Bewerber orientierende Besetzung der Posten.
Dass der ORF diese zweite Anforderung nicht erfüllt, ist allgemein bekannt. Um zu wissen, wie die Postenvergabe am Küniglberg und in den Landesstudios vor sich geht, muss man nur die Berichte über eine x-beliebige Generaldirektor-Wahl nachlesen.
Da werden im ORF-Stiftungsrat, wo sich die Parteien aus Tarnungsgründen „Freundeskreise“nennen, Personalpakete geschnürt, die nicht nur die oberen Führungsebenen umfassen, sondern bis weit in die Redaktionen reichen. Wer im ORF das Sagen hat, wird also direkt von den Parteien entschieden. Sie besetzen übrigens auch den Publikumsrat. Dass es „Freundeskreis“-Mitglieder gibt, die dennoch von einer Unabhängigkeit des ORF reden, ohne rot zu werden, ist eine Leistung.
Als 2017 die Große Koalition zerbrach und Neuwahlen angesetzt wurden, war gerade eine Organisationsreform des ORF im Anlaufen. Sofort wurde die Reform und die damit verbundene Postenvergabe vom Generaldirektor gestoppt, denn als erfahrener PersonalpaketSchnürer wusste er: Nach der Wahl könnte es neue politische Mehrheitsverhältnisse geben, und diese müssten im ORF ihren Niederschlag finden. Also hieß es warten.
Nun haben sich die Mehrheitsverhältnisse tatsächlich geändert, und die FPÖ fordert jetzt einen Anteil an den Posten und Einflussmöglichkeiten im ORF. Das mag ärgerlich sein. Noch viel ärgerlicher ist es, dass die Postenvergabe im ORF insgesamt nicht so erfolgt, wie das bei unabhängigen Medien üblich ist.