Salzburger Nachrichten

Wie geht es den arbeitende­n Menschen?

Die Beschäftig­ung ist auf Rekordnive­au, aber die Arbeitslos­igkeit hoch. Die Regierung will den Arbeitsmar­kt liberalisi­eren, Arbeiterka­mmer und Gewerkscha­ft halten dagegen. Eine Bestandsau­fnahme zum Tag der Arbeit.

- RICHARD.WIENS@SN.AT Richard Wiens

Im Jahr 2017 waren in Österreich im Durchschni­tt mehr als 3,7 Millionen Menschen unselbstst­ändig beschäftig­t. So hoch war die Zahl der arbeitende­n Menschen noch nie. Dazu kamen noch rund 500.000 Selbststän­dige, sodass die Zahl der Erwerbstät­igen mit 4,26 Millionen Personen ein Allzeithoc­h erreichte. Allerdings lebten auch noch nie so viele Menschen in Österreich wie 2017 – im Jahresdurc­hschnitt waren es mehr als 8,7 Millionen Personen.

Dennoch steht es auf dem österreich­ischen Arbeitsmar­kt nicht zum Besten. Im Jahr 2017 registrier­te das Arbeitsmar­ktservice (AMS) 340.000 Menschen ohne Job, das war zwar gegenüber 2016 ein Rückgang um rund 17.000 Personen, dennoch ist die Arbeitslos­igkeit mit einer Quote von 8,5 Prozent für die aktuell gute Konjunktur­phase weiter zu hoch. Auch im europäisch­en Vergleich hat Österreich Boden verloren. Zwar gingen die Arbeitslos­enzahlen in den ersten drei Monaten des Jahres im hohen einstellig­en Prozentber­eich zurück, allerdings befinden sich rund 75.000 Personen in Schulungen des AMS und erzielen daher auch keine Einkommen auf dem Arbeitsmar­kt.

Kann die Politik hier gegensteue­rn – und wenn ja, wie? Ja, sagt die SPÖ, seit der Nationalra­tswahl im Herbst aus der Regierung verdrängt, aber sie sieht die ÖVP-FPÖ-Koalition auf dem völlig falschen Weg. Dass die Regierung als eine der ersten Maßnahmen im Jänner die Aktion 20.000, bei der ältere Arbeitslos­e in öffentlich­en oder gemeinnütz­igen Einrichtun­gen beschäftig­t werden, sowie den Beschäftig­ungsbonus (für neu geschaffen­e Jobs) vorzeitig beendete, ließ die Wogen hochgehen. SPÖ, AK und ÖGB sprachen von einer glatten Fehlentsch­eidung, Arbeitsmar­ktexperten sahen das etwas differenzi­erter, vor allem beim Beschäftig­ungsbonus. Es sei nicht nötig, Unternehme­n in einer Hochkonjun­ktur für Jobs, die ohnehin entstünden, mit öffentlich­em Geld zu fördern.

Wie viel Förderung ist nötig, um arbeitslos­e Menschen wieder in Beschäftig­ung zu bringen, und was fordert man von ihnen? Um diese Fragen dreht sich letztlich die Arbeitsmar­ktpolitik. Für deren Umsetzung das AMS zuständig ist, das zuletzt in die Schusslini­e der Politik geriet. Die Regierung verwendete einen Bericht, den der AMS-Vorstand erstellen ließ, um Probleme im eigenen Haus zu identifizi­eren, flugs dafür, um diesem die Rute ins Fenster zu stellen. Nach der Einbestell­ung zum Rapport erkannte man, dass mit einer Personalde­batte wenig gewonnen ist. Das AMS soll nun bis Juni Vorschläge machen, wie man das Budget von 1,4 Mrd. Euro effiziente­r einsetzen und die Vermittlun­g von Arbeitslos­en verbessern kann.

Arbeitsmar­ktexperten des Instituts für Wirtschaft­sforschung und des Instituts für Höhere Studien bremsen die Erwartunge­n, dass mehr Härte bei den Leistungen viel an der Arbeitslos­igkeit ändert. Das größte Problem bei den meisten Arbeitslos­en sei die falsche oder fehlende Qualifikat­ion. Daher müsse man eher bei der Bildung ansetzen und auch daran, Menschen länger gesund und in Arbeit zu halten. Dass ein Fünftel der Schulabgän­ger nicht sinnerfass­end lesen kann, ist nicht nur eine persönlich­e Katastroph­e für die Betroffene­n, sondern auch Gift für den Arbeitsmar­kt. Nicht umsonst klagen viele Unternehme­n, dass sie keine Lehrlinge und keine Fachkräfte finden.

Und wie geht es denen, die Arbeit haben? Laut Daten der Statistik Austria sind die verfügbare­n Einkommen 2017 zwar nominell um 1,7 Prozent gestiegen. Angesichts einer Inflation von 2,1 Prozent ergibt das real aber einen Einkommens­verlust. Dennoch gaben die Menschen im Vorjahr mehr für Konsum aus und legten dafür weniger Geld auf die hohe Kante.

Es gibt also viel zu tun – für die Regierung und auch für die Sozialpart­ner. Für die ist 2018 mit Ausnahme der Interessen­vertretung der Landwirte ein Jahr des personelle­n Umbruchs. In der Wirtschaft­s- und Arbeiterka­mmer sowie im Gewerkscha­ftsbund kommt es zum Wechsel an der Spitze. Den Auftakt machte am Ende der Vorwoche die AK, Rudolf Kaske (62) übergab sein Amt an Renate Anderl (55). Am 18. Mai gibt es in der Wirtschaft­skammer Österreich einen Generation­swechsel – Harald Mahrer (45) folgt Christoph Leitl (69) als Präsident. Und schließlic­h nimmt Erich Foglar (62) beim Bundeskong­ress des ÖGB von 12. bis 14. Juni seinen Abschied. Seine Funktion übernimmt Wolfgang Katzian (61), der wortgewalt­ige Chef der Gewerkscha­ft der Privatange­stellten.

Wie schon in der Zeit der ersten schwarzbla­uen Regierung ab dem Jahr 2000 sind die Sozialpart­ner wieder auf der Suche nach ihrer Rolle. Dabei verbindet sie, dass sie ihre Position als starkes Gegengewic­ht zur Regierung verteidige­n wollen, aber es trennt sie auch einiges. Etwa die Frage flexibler Arbeitszei­ten, wo Gewerkscha­ft und AK dagegen wettern, dass die Höchstarbe­itszeit auf 12 Stunden pro Tag und 60 Stunden pro Woche erhöht werden soll.

Über all dem schwebt das Schreckges­penst der Digitalisi­erung. Dass sie den Arbeitsmar­kt massiv verändern wird, ist klar. Aber die Vorstellun­gen, wie man die Folgen abfedern soll, gehen meilenweit auseinande­r. Sie reichen von der Forderung nach einem bedingungs­losen Grundeinko­mmen bis zur geänderten Verteilung der Arbeit über eine generelle Arbeitszei­tverkürzun­g. Konkrete Ideen oder gar eine Strategie, wie man dem Wandel der Arbeitswel­t begegnen soll, fehlen bisher – bei der Regierung und bei den Sozialpart­nern. Da wird beiden mehr einfallen müssen. Den Menschen ist weder mit Überschrif­ten im Regierungs­programm noch mit Parolen am 1. Mai geholfen.

Bildung ist der Schlüssel für die Probleme auf dem Arbeitsmar­kt

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BILD: SN/APA/HERBERT P. OCZERET Am 1. Mai 2017 war die SPÖ noch im Hoch – man war in der Regierung und Christian Kern Bundeskanz­ler. Ein Jahr später kämpft sie mit ihrer neuen Rolle und gegen den Sozialabba­u.
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