Wie geht es den arbeitenden Menschen?
Die Beschäftigung ist auf Rekordniveau, aber die Arbeitslosigkeit hoch. Die Regierung will den Arbeitsmarkt liberalisieren, Arbeiterkammer und Gewerkschaft halten dagegen. Eine Bestandsaufnahme zum Tag der Arbeit.
Im Jahr 2017 waren in Österreich im Durchschnitt mehr als 3,7 Millionen Menschen unselbstständig beschäftigt. So hoch war die Zahl der arbeitenden Menschen noch nie. Dazu kamen noch rund 500.000 Selbstständige, sodass die Zahl der Erwerbstätigen mit 4,26 Millionen Personen ein Allzeithoch erreichte. Allerdings lebten auch noch nie so viele Menschen in Österreich wie 2017 – im Jahresdurchschnitt waren es mehr als 8,7 Millionen Personen.
Dennoch steht es auf dem österreichischen Arbeitsmarkt nicht zum Besten. Im Jahr 2017 registrierte das Arbeitsmarktservice (AMS) 340.000 Menschen ohne Job, das war zwar gegenüber 2016 ein Rückgang um rund 17.000 Personen, dennoch ist die Arbeitslosigkeit mit einer Quote von 8,5 Prozent für die aktuell gute Konjunkturphase weiter zu hoch. Auch im europäischen Vergleich hat Österreich Boden verloren. Zwar gingen die Arbeitslosenzahlen in den ersten drei Monaten des Jahres im hohen einstelligen Prozentbereich zurück, allerdings befinden sich rund 75.000 Personen in Schulungen des AMS und erzielen daher auch keine Einkommen auf dem Arbeitsmarkt.
Kann die Politik hier gegensteuern – und wenn ja, wie? Ja, sagt die SPÖ, seit der Nationalratswahl im Herbst aus der Regierung verdrängt, aber sie sieht die ÖVP-FPÖ-Koalition auf dem völlig falschen Weg. Dass die Regierung als eine der ersten Maßnahmen im Jänner die Aktion 20.000, bei der ältere Arbeitslose in öffentlichen oder gemeinnützigen Einrichtungen beschäftigt werden, sowie den Beschäftigungsbonus (für neu geschaffene Jobs) vorzeitig beendete, ließ die Wogen hochgehen. SPÖ, AK und ÖGB sprachen von einer glatten Fehlentscheidung, Arbeitsmarktexperten sahen das etwas differenzierter, vor allem beim Beschäftigungsbonus. Es sei nicht nötig, Unternehmen in einer Hochkonjunktur für Jobs, die ohnehin entstünden, mit öffentlichem Geld zu fördern.
Wie viel Förderung ist nötig, um arbeitslose Menschen wieder in Beschäftigung zu bringen, und was fordert man von ihnen? Um diese Fragen dreht sich letztlich die Arbeitsmarktpolitik. Für deren Umsetzung das AMS zuständig ist, das zuletzt in die Schusslinie der Politik geriet. Die Regierung verwendete einen Bericht, den der AMS-Vorstand erstellen ließ, um Probleme im eigenen Haus zu identifizieren, flugs dafür, um diesem die Rute ins Fenster zu stellen. Nach der Einbestellung zum Rapport erkannte man, dass mit einer Personaldebatte wenig gewonnen ist. Das AMS soll nun bis Juni Vorschläge machen, wie man das Budget von 1,4 Mrd. Euro effizienter einsetzen und die Vermittlung von Arbeitslosen verbessern kann.
Arbeitsmarktexperten des Instituts für Wirtschaftsforschung und des Instituts für Höhere Studien bremsen die Erwartungen, dass mehr Härte bei den Leistungen viel an der Arbeitslosigkeit ändert. Das größte Problem bei den meisten Arbeitslosen sei die falsche oder fehlende Qualifikation. Daher müsse man eher bei der Bildung ansetzen und auch daran, Menschen länger gesund und in Arbeit zu halten. Dass ein Fünftel der Schulabgänger nicht sinnerfassend lesen kann, ist nicht nur eine persönliche Katastrophe für die Betroffenen, sondern auch Gift für den Arbeitsmarkt. Nicht umsonst klagen viele Unternehmen, dass sie keine Lehrlinge und keine Fachkräfte finden.
Und wie geht es denen, die Arbeit haben? Laut Daten der Statistik Austria sind die verfügbaren Einkommen 2017 zwar nominell um 1,7 Prozent gestiegen. Angesichts einer Inflation von 2,1 Prozent ergibt das real aber einen Einkommensverlust. Dennoch gaben die Menschen im Vorjahr mehr für Konsum aus und legten dafür weniger Geld auf die hohe Kante.
Es gibt also viel zu tun – für die Regierung und auch für die Sozialpartner. Für die ist 2018 mit Ausnahme der Interessenvertretung der Landwirte ein Jahr des personellen Umbruchs. In der Wirtschafts- und Arbeiterkammer sowie im Gewerkschaftsbund kommt es zum Wechsel an der Spitze. Den Auftakt machte am Ende der Vorwoche die AK, Rudolf Kaske (62) übergab sein Amt an Renate Anderl (55). Am 18. Mai gibt es in der Wirtschaftskammer Österreich einen Generationswechsel – Harald Mahrer (45) folgt Christoph Leitl (69) als Präsident. Und schließlich nimmt Erich Foglar (62) beim Bundeskongress des ÖGB von 12. bis 14. Juni seinen Abschied. Seine Funktion übernimmt Wolfgang Katzian (61), der wortgewaltige Chef der Gewerkschaft der Privatangestellten.
Wie schon in der Zeit der ersten schwarzblauen Regierung ab dem Jahr 2000 sind die Sozialpartner wieder auf der Suche nach ihrer Rolle. Dabei verbindet sie, dass sie ihre Position als starkes Gegengewicht zur Regierung verteidigen wollen, aber es trennt sie auch einiges. Etwa die Frage flexibler Arbeitszeiten, wo Gewerkschaft und AK dagegen wettern, dass die Höchstarbeitszeit auf 12 Stunden pro Tag und 60 Stunden pro Woche erhöht werden soll.
Über all dem schwebt das Schreckgespenst der Digitalisierung. Dass sie den Arbeitsmarkt massiv verändern wird, ist klar. Aber die Vorstellungen, wie man die Folgen abfedern soll, gehen meilenweit auseinander. Sie reichen von der Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen bis zur geänderten Verteilung der Arbeit über eine generelle Arbeitszeitverkürzung. Konkrete Ideen oder gar eine Strategie, wie man dem Wandel der Arbeitswelt begegnen soll, fehlen bisher – bei der Regierung und bei den Sozialpartnern. Da wird beiden mehr einfallen müssen. Den Menschen ist weder mit Überschriften im Regierungsprogramm noch mit Parolen am 1. Mai geholfen.
Bildung ist der Schlüssel für die Probleme auf dem Arbeitsmarkt