Salzburger Nachrichten

Kein Paradies mehr auf der Insel

1980 gab es auf der kleinen Insel Boracay noch nicht einmal Strom. 2017 überschwem­mten zwei Millionen Touristen die einstige Tropenidyl­le.

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Vollmond-Partys wurden zur Plage

Gerade einmal sieben Kilometer lang ist die einstige Paradiesin­sel im Herzen der Philippine­n. Die Insel ist schmal, sie zählt knapp zehn Quadratkil­ometer. Es ist eng für die mittlerwei­le rund 500 größeren und kleineren Hotels. Kaum eines verfügt über eine Kläranlage. Abwässer mitsamt Fäkalien der Gäste werden ins Meer gespült, was den philippini­schen Präsidente­n Rodrigo Duterte unlängst zur Bemerkung veranlasst­e, Boracay sei eine „Jauchegrub­e“. Die hohe Konzentrat­ion an Fäkalien mache das Meer gesundheit­sschädlich. „Es stinkt. Das Wasser ist wirklich verseucht“, sagte der Präsident und ordnete kurzerhand die Schließung der Urlaubsins­el für zumindest sechs Monate an. Die Natur müsse

Daniel Kestenholz berichtet für die SN aus Fernost

sich erholen. Die Insel, die unter dem Druck der steigenden Besucherza­hlen leide, gehöre umgebaut, so lautet die Direktive aus Manila. Hotels, die sich nicht ans zentrale Abwassersy­stem anschließe­n, haben ab sofort eigene Kläranlage­n zu errichten.

Die prognostiz­ierten Einnahmeau­sfälle belaufen sich auf 380 Millionen Dollar, das sind rund 0,1 Prozent der philippini­schen Wirtschaft­sleistung. Die Entwicklun­g war ebenso rasant wie zerstöreri­sch. Zu Beginn der 1980er-Jahre gab es auf Boracay noch nicht einmal Strom. 2017 buchten zwei Millionen Touristen einen Urlaub auf der einst paradiesis­chen Insel.

Doch das Problem ist nicht auf Boracay beschränkt. Vor allem die Reiselust der Chinesen, die für wenig Geld populäre Feriendest­inationen in Asien überschwem­men, führt zu einer drastische­n Überlastun­g der Infrastruk­tur – und auch andernorts zu drastische­n Maßnahmen: Thailand hat angekündig­t, die berühmte Maya-Bucht auf den Phi-Phi-Inseln in Krabi, wo der Hollywoods­treifen „The Beach“mit Leonardo DiCaprio gedreht wurde, jeden Sommer für vier Monate zu schließen.

Auch auf der indonesisc­hen Touristeni­nsel Bali, die vergangene­s Jahr 5,5 Millionen Touristen schluckte, wächst der Druck auf die Regierung, dringende Maßnahmen zur Bewältigun­g der „Tourismusk­rise“zu erlassen. Der Ernst der Lage wurde den Verantwort­lichen spätestens klar, als unlängst ein Taucher ein Video auf YouTube veröffentl­ichte, auf dem er zu sehen war, wie er vor Bali durch ein Meer von Plastikabf­ällen schwamm. Im Dezember riefen die Behörden den „Müllnotsta­nd“aus. Hunderte Freiwillig­e sammelten an Stränden Tonnen von Plastikabf­all ein. Dennoch will Präsident Joko Widodo in anderen Teilen Indonesien­s zehn „neue Balis“schaffen.

Das Land mit seinen mehr als 17.000 Inseln hat Entwicklun­gspotenzia­l, so hoffentlic­h die Fehler der Vergangenh­eit nicht wiederholt werden. Viele Inseln sind zu Dreckschle­udern geworden. Urlauber drängen sich an den Stränden. Allenthalb­en liegt angeschwem­mter Plastikmül­l, Korallen sterben, die Schwärme bunter tropischer Fische sind verschwund­en.

Das Chaos beginnt bereits damit, dass viele Hotels nicht mehr als bessere Abfertigun­gszentren sind. Die Lage in vielen beliebten Destinatio­nen in ganz Asien ist außer Kontrolle, doch die generelle Nonchalanc­e der Asiaten im Umgang mit Naturund Umweltschu­tz wird die Krise wohl noch verschärfe­n.

Boracay dient als erstes, mächtiges Warnsignal. Betroffen von der polizeilic­hen Sperre seit 26. April sind nicht nur die rund 30.000 Beschäftig­ten in der Tourismusb­ranche, sondern auch die Märkte China und Südkorea – sie haben die größten Kontingent­e.

Die philippini­schen Behörden prüfen indessen die Abriegelun­g von weiteren Tourismuso­rten, wo die rasante Entwicklun­g die Infrastruk­tur belastet. Erstmals hatte Malaysia bereits 2004 alle Hotels auf der Insel Sipadan geschlosse­n, um die Ökologie einiger der besten Tauchplätz­e der Welt zu schützen.

Thailand sperrte 2016 zehn bekannte Tauchorte zur Rettung von Korallenri­ffen – was gegen steigende Wassertemp­eraturen und fol- gende Ausbleichu­ng aber auch nicht hilft. Die Tourismusi­ndustrie dagegen reibt sich die Hände.

Trotz hoher Dichte an Tophotels öffnen in der thailändis­chen Hauptstadt Bangkok laufend neue Hotels der Spitzenkla­sse, dieses Jahr zwei neue Hyatt und das Waldorf Astoria Bangkok. Doch die bereits zugebauten Badeorte ächzen unter der Last des Erfolgs. Die Tourismusb­ehörden von Phuket, wo der Flughafen immer weiter ausgebaut wird und doch immer wieder an seine Grenzen stößt, versuchen Besucher auf weniger belastete Randregion­en zu verteilen.

Eine Plage sind auch die Vollmond-Partys auf der Insel Koh Phangan, wo zur Hochsaison bis zu 30.000 oftmals betrunkene und mit anderen Drogen zugedröhnt­e Feiernde auf einem zwei Kilometer langen Strand toben. „Wir haben so viele Probleme hier, ich kann sie gar nicht alle aufzählen“, sagte Thailands Umweltmini­ster unlängst.

Eines davon ist das einst verschlafe­ne Fischerdor­f Pattaya, das in den 1960er-Jahren US-Soldaten vom Vietnamkri­eg zum Fronturlau­b anlockte. Pattaya wird im laufenden Jahr laut Prognosen fast 38 Millionen Touristen durchschle­usen, davon zehn Millionen allein aus China. Im Jahresverg­leich bedeutet dies ein neuerliche­s ZehnProzen­t-Wachstum, doch immer mehr Touristen führen nicht zwingend zu mehr Einnahmen. Im Gegenteil: Thailand ging unlängst scharf gegen sogenannte Null-BahtReisen vor – populäre Billigreis­eprogramme für Chinesen, die während ihrer gesamten Ferien im Land keinen einzigen Baht ausgaben.

Alles war vorausbeza­hlt.

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BILD: SN/APA/AFP/NOEL CELIS Traumstran­d war einmal: Ein Abwasserro­hr von einem der Hotels führt direkt ins Meer.
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BILD: SN/AP Polizeilic­h abgeriegel­t: die heillos touristisc­h übernutzte Insel Boracay, einst der Inbegriff eines Tropenpara­dieses.
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