Jetzt wird gefilmt, was drinnen los ist
Ein MRT, das sich bewegt. Was der Göttinger Forscher Jens Frahm hier mit seinem Team entwickelt hat, kann die Diagnose und chirurgische Eingriffe revolutionieren. Der Entwickler wurde für den Europäischen Erfinderpreis 2018 nominiert.
GÖTTINGEN. Ärzte können heute viele Krankheiten besser diagnostizieren als vor 30 Jahren. Dies verdanken sie der Magnetresonanztomographie. Und nicht zuletzt Jens Frahm und seinem Team. Die Forschung des Wissenschafters am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen hat die Aufnahmen aus dem Körper entscheidend vereinfacht.
Mitte der Achtzigerjahre gelang es den Göttingern, die MRT um das bis zu 10.000-Fache zu beschleunigen, und sie nannten das neue Produkt FLASH-MRT. Das ist heute eines der bedeutendsten bildgebenden Verfahren in der klinischen Diagnostik und weltweit im Einsatz. Mit dem seit 2010 etablierten FLASH2-Verfahren schafften die Göttinger Forscher den Durchbruch hin zur Echtzeit-MRT. Mit dieser Technik lassen sich zum ersten Mal Vorgänge im Inneren des Körpers in Echtzeit filmen.
Gibt es bei einer Person Auffälligkeiten im Hirngewebe? Wurden bei einem Unfallopfer innere Organe verletzt? Liegt ein Bandscheibenvorfall vor? Hat das Herz Schaden genommen? Um derartige Fragen zu beantworten, untersuchen Radiologen Patienten mithilfe eines Magnetresonanztomographen – und der FLASH-Technologie. Damit lassen sich in kurzer Zeit präzise und sogar dreidimensionale Schnittbilder unseres Körpers erzeugen, mit denen sich besonders gut und genau krankhafte Veränderungen an praktisch allen Organen des Körpers abbilden lassen. Zudem ist das Verfahren – im Gegensatz zu Röntgentechniken wie der Computertomographie – gesundheitlich unbedenklich.
Die MRT macht sich eine besondere Eigenschaft der im Körper allgegenwärtigen Wasserstoffatomkerne zunutze: ihren Drehimpuls, auch Kernspin genannt. Dieser Kernspin verwandelt die Atomkerne in winzigste Magneten. Befinden sich diese in einem Magnetfeld, richten sie sich entlang der Magnetfeldlinien aus. Ein Magnetresonanztomograph erzeugt so ein Magnetfeld und sendet zusätzlich kurze Radioimpulse aus, die Atome kurz aus dem Gleichgewicht bringen. Wenn sie sich dann wieder brav ausrichten, senden sie Radiowellen aus, die von hochempfindlichen Spulen aufgezeichnet werden.
Dieser oft wiederholte Vorgang macht so Aufnahmen des Körpers wie einen „Aufschnitt“aus dem Feinkostladen. Frahm revolutionierte mit seiner Technologie die MRT zwölf Jahre nach ihrer Erfindung durch Paul Lauterbur 1973, indem er diese fundamental beschleunigte. Denn die MRT hatte bis dahin einen großen Nachteil: Für den Einsatz in der Medizin war sie viel zu langsam. Eine Schichtaufnahme dauerte mehrere Minuten.
„Unsere Idee in den 1980er-Jahren war es, für jede Einzelmessung nur einen Teil des verfügbaren MRT-Signals zu nutzen. Mit diesem physikalischen Trick konnten wir die Pausen eliminieren und die Messzeiten um den Faktor 100 verkürzen“, sagt Frahm.
Heute finden weltweit etwa 100 Millionen Untersuchungen im Jahr statt; jede einzelne basiert auf Frahms Technologie. FLASH ist damit das bisher erfolgreichste Patent der Max-Planck-Gesellschaft und verhalf der MRT in der medizinischen Diagnostik zum Durchbruch.
Im Jahr 2010 lösten Frahm und sein Team mit FLASH2 schließlich auch das Problem der hohen Zahl an erforderlichen Einzelmessungen. Einfach ausgedrückt ist FLASH2 die FLASH-Technologie samt Videofunktion: Es verwendet ein neues mathematisches Verfahren für die Bildrekonstruktion und kommt dadurch mit nur noch ganz wenigen Einzelmessungen pro Bild aus. Die Technik beschleunigte die MRT-Aufnahmen noch einmal deutlich und erlaubt es, bis zu 100 Bilder pro Sekunde aufzunehmen.
FLASH2 macht Vorgänge im Inneren des Körpers live sichtbar – ein für die medizinische Diagnostik wesentlicher Fortschritt. Erstmals lassen sich Gelenksbewegungen, Sprechbewegungen, Schluckvorgänge oder das schlagende Herz direkt beobachten und Rückschlüsse darauf ziehen, warum das Knie beim Beugen schmerzt, jemand unter Sodbrennen leidet, stottert oder Schmerzen im Brustbereich hat. Die neue Technik könnte in Zukunft zudem eingesetzt werden, um minimalinvasive Eingriffe und Behandlungen zu begleiten, die bisher unter Röntgenkontrolle durchgeführt werden. Die Echtzeit-MRT wird derzeit an der Universitätsmedizin Göttingen und mehreren anderen Universitäten in Deutschland, Großbritannien und den USA für den routinemäßigen Einsatz am Patienten getestet.