Es liebt sich rasend auf zwei Rädern
Wahrscheinlich war’s Thomas Bernhard egal, dass sich um das Fahrrad soziale Megatrends und Style verbinden. Geradelt ist er trotzdem.
Thomas Bernhard kaufte sich ein Rad. Ein Steyr-Waffenrad, einen Klassiker des österreichischen Handwerks. Mittlerweile sind solche alten Waffenräder Kultobjekte für Sammler. Thomas Bernhard brauchte es aus einem einfachen Grund: 1974 gab es wegen der Ölkrise autofreie Tage. Mobil wollte der Großschriftsteller aber doch sein auf seinem Hof in Obernathal. Und dort steht das Rad üblicherweise auch. Jetzt steht es als eine der Attraktionen in einer Nordbahnhalle in Wien.
„Bicycle – A Love Story“heißt eine Schau, die dort Schönheit und Nützlichkeit des Fahrrads anschaulich macht.
Dass Bernhards Rad da steht, freut Organisator Markus Böhm „doppelt“. Er liebt Fahrräder und er studierte Germanistik. Im Fall des radfahrenden Thomas Bernhard kommt beides zusammen. Bernhard begann ja sogar „Ein Kind“, den ersten Band seiner autobiografischen Schriften, mit einem tragisch endenden Abenteuer auf dem schweren Rad seines Großvaters, als er von Traunstein nach Salzburg radeln wollte.
Für die Ausstellung in Wien suchte Böhm unter anderem die Geräte prominenter Radler. Auch ein Jugendrad von Elvis Presley ist zu sehen. Und auch ein Rennrad, mit dem der Schweizer Hugo Koblet als erster Nichtitaliener den Giro d’Italia gewonnen hat, steht da. Doch die außergewöhnlichen Ansichtsexemplare sollen nicht die eigentliche Intention der Schau überblenden.
Es geht in der Schau nicht um eine simple Anhäufung historischer Objekte für Insider. Es geht darum, ein Gefühl zu schaffen, welche Bedeutung das Fahrrad als kulturelle Meisterleistung hat. Anschaulich und spürbar wird, wie das Fahrrad, ob man nun fährt oder nicht, in jedes Leben greift.
Schon im vergangenen Jahr wurden als Pilotprojekt auf Schloss Hollenburg bei Krems die vielen Facetten der weltweiten Radsport- und Radfreizeitkultur und ihre 200 Jahre alte Geschichte präsentiert. Nun ist alles größer, umfangreicher, vertiefender.
Fünf Jahre lang sammelte Böhm mit seinem Team für die Ausstellung Poster, Fotos und auch Postkarten. „Man glaubt ja gar nicht, wie oft Räder oder Radfahrer als Motiv vorkommen“, sagt Böhm im Gespräch mit den SN. Fündig wurden sie bei Auktionen.
Böhm bemerkte in diesen Jahren auch, wie die Radkultur immer mehr boomte. „Es hat sich auf diesem Gebiet tatsächlich viel getan“, sagt Böhm, der Gründer und Obmann von Weltbüro ist, das die Ausstellung organisiert. Man verstehe sich als Verein „zur Förderung und Wahrung von Kulturgütern“. Böhm gehörte 2006 auch zu den Pionieren, die eine neue, hippe Fahrradkultur vorausahnten. Er eröffnete damals den Laden Radlager Palazzo.
Es geht in der Schau also nicht allein ums Fahren oder um Technik. Es geht um Rad- und damit um Alltagskultur. Und so wird in der Ausstellung schnell klar: Radfahren ist nicht bloß eine Fortbewegungsart. Das Rad war nie nur ein Mittel, um von A nach B zu kommen. Es war stets ein Objekt, um das sich ein bestimmtes Lebensgefühl ablesen lässt – und damit lässt sich auch auf soziale Umfelder schließen.
Darum geht es bei der Liebesgeschichte zum Fahrrad in dieser Ausstellung vordergründig nicht um technische Spielereien. Erzeugt wird aus Objekten und Fotos in einer raffinierten Raumstruktur eine Atmosphäre, in der sich eine Welt ohne Fahrrad gar nicht recht denken lässt. „Es geht um die Freude und das Leid des Fahrens“, sagt Böhm. Lebensgroße Porträtaufnahmen exzentrischer Radpioniere des 19. Jahrhunderts, Familienschnappschüsse, bewegende Momente der Radsportgeschichte gibt es zu sehen. Fröhliche Gesichter bei einer romantischen Ausfahrt, der Schweiß leidender Profis, ein Fahrradlehrer, der einer jungen Dame hilft, im Sattel zu bleiben – diese Motive auf großformatigen Bildern öffnen persönliche, für jeden Menschen, der je auf ein Rad stieg, nachvollziehbare Eindrücke. Eine multimediale Installation bildet die historische und akustische Hauptachse der Schau. Dazu kommen Exponate aus 200 Jahren Radgeschichte.
Und ganz nebenbei wird auch deutlich, dass diese Rad-Lovestory eine bedeutende, soziale Schnittstelle zwischen Heute und Morgen beleuchtet. Die Erfindung des Fahrrads stelle „so etwas wie den Urknall der modernen Mobilitätsgeschichte“dar, sagt Böhm. Und im Moment gelten in fortschrittlichen Städten die zwei Pedale als wesentlicher Bestandteil beim Entwurf moderner, lebensfreundlicher, urbaner Visionen. An der Schnittstelle von vier Megatrends liege das Rad, sagen Trend- und Zukunftsforscher: Gesundheit, Klimaschutz, Lifestyle und Technologie.
Solche Megatrends hätten eine Halbwertszeit von mindestens 50 Jahren, sind rückschlagsresistent und zeigen Auswirkungen in allen Lebensbereichen. Sie verändern also auf Dauer das Leben. Dass das Fahrrad mitten in diesem kulturellen Prozess eine so bedeutende Rolle spielt, sei mit ein Grund für die Ausstellung. „Keine Frage: Das Bike boomt. Auch 200 Jahre nach seiner Erfindung. Es ist also Zeit, es so aufregend wie nie zuvor in Szene zu setzen“, sagt Böhm. Ausstellung:
„Bicycle – A Love Story“. Nordbahnhalle, Wien. Zu sehen bis 3. Juni.