Wer sucht, der findet einen Wortschatz
Mit einer Sammlung vergessener Wörter will eine Autorin sprachliche Müßiggänger zu Tausendsassas machen. Kein Mumpitz!
Wie wäre es, wenn immer mehr Menschen versuchen würden, der Verrohung der Sprache im Internetzeitalter mit betont höflich antiquiertem Vokabular entgegenzutreten? Die Idee hat etwas für sich: Anstatt sich als Hassposter zu betätigen und Shitstorms zu entfachen, würde es doch gleich viel gesitteter wirken, „wenn man seinen Feinden einfach einmal gram ist“, schreibt Katharina Mahrenholtz in ihrem neuen Buch.
Das Adjektiv gram als Ausdruck für „wütend sein“sei bereits im Altnordischen nachzuweisen, führt die Kulturwissenschafterin und Journalistin aus. Es sei eines der wenigen Wörter der deutschen Sprache, die sich in mehr als 1000 Jahren weder in der Bedeutung noch in der Schreibweise geändert hätten.
Auch der Groll klingt für moderne Ohren bei Weitem nicht so bedrohlich wie der ungebremste Hass. Einen grollenden Gartenzwerg hat Illustratorin Dawn Parisi zur Buchseite gezeichnet, die diesem Begriff gewidmet ist.
Dabei ist das Wort erst altersbedingt milde geworden. Ursprünglich sei es mit dem (heute verschwundenen) Verb „grellen“verwandt, das „laut schreien“bedeutet habe, erläutert Mahrenholtz. Der Groll sei deshalb zunächst ein heftig aufwallender Zorn gewesen, bevor er sich in einen stillen Ärger verwandelt habe.
Ist es Mumpitz, sich mit Ausdrücken aufzuhalten, die nicht mehr unbedingt modern klingen? All jenen, die so denken, hält Mahrenholtz ein Rechenbeispiel entgegen. Im Duden stünden 145.000 Wörter, nur 14.000 kämen allerdings in der Alltagssprache durchschnittlich zur Verwendung. Schade. Weil viele nostalgische Ausdrücke zu kostbar seien, um achtlos liegen gelassen zu werden, haben Mahrenholtz und Parisi ein Buch herausgegeben, das helfen soll, den versunkenen Wortschatz zu heben: 100 Begriffe sind in dem im Duden-Verlag erschienenen Band „Luftikus und Tausendsassa“erfasst, erläutert und illustriert.
Beim Begriff „Mumpitz“ist nachzulesen, dass er seine Existenz dem Schreckgespenst des Butzemanns verdankt, der im 17. Jahrhundert in vermummter Gestalt auf den Plan getreten sei. An der Börse seien noch im frühen 20. Jahrhundert erschreckende Gerüchte als Mumpitz bezeichnet worden, bevor das Wort zum Ausdruck für unsinniges Gerede wurde.
Freilich kann man sich bei der Lektüre auch selbst manchmal ein bisschen antiquiert vorkommen. Ist man schon aus der Zeit gefallen, wenn man Wörter wie Augenweide eigentlich gar nicht für vergessen gehalten hätte? Trotzdem weiterlesen ist auch in diesem Fall kein Fehler. Immerhin wird erläutert, dass die Weide, um die es hier geht, im Mittelhochdeutschen nichts mit Nutztierhaltung zu tun hatte, sondern eine Erfrischung oder Labung bezeichnete. Deshalb sei schon Kriemhild im Nibelungenlied für Siegfried eine „ougenweyde“gewesen. Ähnlich kulinarische Sprachbilder finden sich auch im Englischen. Bei einem erfreulichen Anblick sprächen Briten gern von „eye candy“, schreibt die Autorin. Scrabble-Spielern gibt sie einen zusätzlichen Anreiz, sich die gewählten Wörter zu merken. Zu jedem Eintrag ist im oberen Seiteneck der Scrabble-Wert angegeben. „Augenweide“gibt leider nur 13 Punkte. Wahrhaft erklecklich ist hingegen die Punktezahl, die sich mit den Steinen für ebendieses Wort erzielen ließe: 26! Mit einer griffigen Herkunftserklärung zu punkten ist hingegen nicht ganz so leicht. Zunächst habe das zugrunde liegende Wort „klecken“ein geräuschvolles Fallen oder Aufklatschen bezeichnet, später sei damit ein Gelingen gemeint gewesen. Wie daraus ein Synonym für „beträchtlich“oder „beachtlich“wurde? Diese Geschichte, räumt Mahrenholtz ein, sei noch nicht ganz erforscht.
Wer nach den Ursprüngen unseres Wortschatzes sucht, kann sich ohnehin leicht auf gefährliches Terrain begeben. So seien etwa die Habseligkeiten im Jahr 2004 vom Deutschen Sprachrat zum schönsten Wort des Jahres gewählt worden. Die Jury habe sich für den Zusammenklang von weltlichem Besitz (Haben) und dem Streben nach Glückseligkeit begeistert. Die linguistischen Einsprüche ließen nicht auf sich warten: Dass Besitz selig macht, lasse sich aus dem Wort nicht ableiten, sagt die Sprachwissenschaft. Die Silbe „sel“verweise ganz irdisch auf die alte Bezeichnung „Habsal“(oder: „Habsel“).
Vom „Adamskostüm“über „Memmen“, „Müßiggänger“und „Tausendsassas“führt das Buch zum finalen „Zipperlein“. Freilich wird nicht jedes Wort Retro-Fans entzücken (manche sind dafür auch vom Österreichischen zu weit entfernt). Einen Zusatznutzen bietet das Buch aber auch für die Gegenwart: Zu jedem Begriff sind passende Reime aufgelistet. Auch GangstaRapper und Slam-Poeten können einen großen Wortschatz brauchen. Nur beim Begriff „Dünkel“(Eingebildetheit) muss sogar die Expertin passen: „Reimt sich auf nichts“, steht auf Seite 25. Buch: