Menschen mit Behinderung fordern Gehalt statt Taschengeld
Rund 23.000 Österreicher mit Behinderungen arbeiten außerhalb des offenen Arbeitsmarkts. Warum sie sich nicht länger mit kleinen Geldbeträgen abspeisen lassen wollen.
WIEN. Ihrer Forderung nach Chancengleichheit am Arbeitsmarkt verlieh die Lebenshilfe am Donnerstag beim Inklusionsforum in Wien neuen Nachdruck: „Wir schlagen eine kollektivvertragliche Lösung für die Arbeit in Werkstätten und Tagesstrukturen vor. Damit werden Menschen mit Behinderung anderen Arbeitnehmern gleichgestellt“, sagte Lebenshilfe-Generalsekretär Albert Brandstätter.
Rund 23.000 Frauen und Männer mit Behinderungen arbeiten in Gärtnereien, Küchen, Cafés, Holzwerkstätten oder auf Bauernmärkten – jedoch ohne Gehalt. Brisant: Damit sind sie weder sozialversichert noch haben sie Anspruch auf Pension. Wer also gearbeitet hat und im höheren Alter damit aufhört, hat keinen einzigen Tag Pensionsanspruch erworben.
Grund ist, dass die Arbeit nicht als Erwerbstätigkeit gilt, obwohl die Menschen Waren oder Dienstleistungen herstellen. Deshalb wird sie nur mit einem Taschengeld abgegolten. Geregelt ist das in den recht unterschiedlichen Sozialhilfe- und Behindertengesetzen der Länder.
Eine, die ein angemessenes Gehalt für ihre Arbeit verlangt, ist Hanna Kamrat. Die 51-jährige Vizepräsidentin der Lebenshilfe sitzt im Rollstuhl. Die Bad Ischlerin bemalt Töpferwaren in einer Kreativwerkstatt in Bad Aussee. Dafür bekommt sie 60 Euro. Im Monat.
Geld, von dem sie kein selbstbestimmtes Leben finanzieren könne, sondern vom Sozialstaat und Zuwendungen ihrer Brüder leben müsse, wie sie erzählt. „Taschengeld ist etwas für Kinder, nicht für Erwachsene“, sagt sie. Früher habe sie sich gefreut, vom Papa jede Woche ein paar Schilling zugesteckt zu bekommen. „Jetzt bin ich zu alt für Taschengeld und alt genug dafür, dass gute Arbeit anständig entlohnt wird.“Sie kritisiert, dass kein anderer Arbeitnehmer für dieses Geld machen würde, was sie tut.
Alexander Miklautz, Leiter der Abteilung „Integration von Menschen mit Behinderung“im Sozialministerium, betonte beim Inklusionsforum, dass die Bundesregierung das Ziel habe, behinderten Menschen den Weg in den regulären Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Vor der Hoffnung auf schnelle Änderungen warnt er. „Das ist ein langer Weg“, gab er zu bedenken.
Davon geht auch Petra Prangl von Pro Mente Burgenland aus. Sie sagte den SN, dass rechtliche Rahmenbedingungen sorgfältig abgeklärt werden müssten, was dauern würde. Das Thema sei akut, denn in ihren Einrichtungen versuche man, eine arbeitsähnliche Situation für psychisch Kranke zu schaffen. „Ihnen dann Taschengeld zu geben ist alles andere als arbeitsähnlich. So begegnen wir den Menschen nicht auf Augenhöhe“, erklärte Prangl.
Auch Diakonie und Caritas waren bei dem Inklusionsforum der Lebenshilfe als Beobachter dabei. „Wir sind für eine sozialrechtliche Absicherung in Sachen Pension und Sozialversicherung. Beim Gehalt sind wir offen-abwartend. Es muss geprüft werden, wie es sich auswirkt. Es darf nicht passieren, dass Menschen unterm Strich schlechter aussteigen als bei der bisherigen Regelung mit bedarfsorientierter Mindestsicherung und Transferleistungen“, sagte Marlies Neumüller, Behinderten-Expertin der Caritas Österreich.
Dass ein Kollektivvertrag für Mitarbeiter von Werkstätten und Tagesstrukturen für den Staat finanzierbar wäre, zeigte Renate Hackl von der Sozialabteilung im Land Oberösterreich. Eine Arbeitsgruppe habe für ihr Land errechnet, dass die Ausgaben bei einem Bruttogehalt von 1200 Euro „unter einem zweistelligen Millionenbetrag“bleiben würden. Plus: „Menschen könnten selbst entscheiden, wofür sie ihr Geld ausgeben“, so Hackl. Bei der derzeitigen Version „Taschengeld und Sachleistungen“gebe es kaum Wahlmöglichkeiten, das eigene Leben frei zu gestalten.