Der Libanon wählt
Im Nachbarland herrscht ein Krieg, in den die Schiitenpartei Hisbollah tief verwickelt ist. Doch dieses Thema ist im libanesischen Wahlkampf tabu. Aus gutem Grund.
BEIRUT. „Es ist es ein kleines Wunder, dass wir am Sonntag wählen können“, sagt Marwan Siblini. Noch Anfang November, als Premierminister Saad Hariri „von den Saudis zum (zeitweiligen) Rücktritt gezwungen wurde“, habe man einen saudisch-iranischen Stellvertreterkrieg im Libanon befürchtet. Die seit fünf Jahren überfällige Parlamentswahl hätte dann erneut verschoben werden müssen. „Doch dann flog Emmanuel Macron nach Riad und setzte Hariris Rückkehr nach Beirut durch“, erzählt der 29 Jahre alte Programmierer und freut sich über die „vorläufige Rettung unseres Landes“.
Das mysteriöse Verschwinden des libanesischen Ministerpräsidenten vor fünf Monaten ist nur noch ein Randthema. Hariri hat sich mit Saudi-Arabien versöhnt. Im Mittelpunkt seiner Kampagne steht der „Kampf für die Identität des Libanon“. „Wer am 6. Mai zu Hause bleibt, gibt seine Stimme der Hisbollah“, warnt der sunnitische Politiker. Die pro-iranische Schiitenmiliz und Partei, die in Syrien massiv zugunsten des Assad-Regimes interveniert, ist seit 1992 im Beiruter Parlament. Daran wird sich nichts ändern. Spannend könnte es trotzdem werden. Denn zum ersten Mal in seiner Geschichte wird im Libanon nach einem proportionalen Wahlsystem gewählt, was den landesüblichen Stimmenkauf einschränken und eine bessere Repräsentation der Wählerschaft ermöglichen soll.
An der im Voraus festgelegten konfessionellen Verteilung der 128 Parlamentssitze ändert sich freilich nichts. Eine Zehn-Prozent-Hürde erschwert zudem unabhängigen Kandidaten den Einzug. Zivilgesellschaftliche Gruppen, die bei den Kommunalwahlen vor zwei Jahren einen Achtungserfolg errungen hatten, werden in der noch immer verkrusteten politischen Landschaft des Libanon nur geringe Chancen eingeräumt. Daran würden auch die mehr als 800.000 Erstwähler nichts ändern, heißt es in einer Studie der deutschen Konrad-Adenauer-Stiftung. „Auch sie werden voraussichtlich die etablierten politischen Parteien und ihnen bekannte Kandidaten wählen“. Dennoch herrscht im Libanon Aufbruchsstimmung.
976 Kandidaten, darunter 111 Frauen, haben sich registrieren lassen. Bei den letzten Wahlen im Jahr 2009 waren es fast 200 Kandidaten weniger. Die überdimensionalen Hochglanzplakate der Bewerber und Bewerberinnen hängen im ganzen Land. Wohin man auch blickt, wird man mit verkrampft lächelnden Kandidaten und deren Wohlstandsversprechen konfrontiert.
Der Kampf um die vorteilhafte Platzierung der gestelzt wirkenden Wahlbotschaften führt immer wieder zu Prügeleien zwischen den Anhängern der Kandidaten, in deren Verlauf auch schon Schusswaffen zum Einsatz kamen. Je näher der Urnengang rückte, desto geladener wurde die Stimmung.
Schließlich ist ein Platz im Beiruter Parlament nicht nur gut bezahlt. Die Angeordneten waren zumindest in der Vergangenheit dafür bekannt, dass sie nicht nur zum Wohl des Landes, sondern auch zum Wohle ihrer Familien Entscheidungen trafen. Das soll sich in Zukunft natürlich ändern. Die Bekämpfung der Korruption, die das Land seit Jahrzehnten lähmt, ist eines der beherrschenden Themen im Wahlkampf. „Das war bei den Wahlen vor neun Jahren nicht anders, doch passiert ist nichts“, ärgert sich Antoinette Mazraani, die an der American University von Beirut Politologie studiert. Wer die vorherrschenden Grundübel im Libanon angehen wolle, werde durch das Gewicht des konfessionellen Systems noch immer erdrückt.
Zudem lasse auch die politische Großwetterlage im Nahen Osten keine grundlegenden Reformen zu, meinen westliche Diplomaten in Beirut. Mit Unbehagen blickt die Zedernrepublik auf die Gewalteskalation im benachbarten Syrien. Nur mit Mühe konnte ein Überschwappen des Bürgerkriegs auf den Libanon verhindert werden. Dort standen sich prosyrische und antisyrische Parteien bisher fast gleichstark gegenüber und trugen, trotz oft massiver politischer Differenzen, in meist friedlicher Koexistenz zur Stabilisierung des Landes bei. So ist in der innenpolitische Debatte die Thematisierung der Bewaffnung der Hisbollah ebenso tabu wie der Einfluss des Iran. Das soll auch nach den Wahlen so bleiben.