Salzburger Nachrichten

Wie grüne Politik funktionie­ren kann

Georg Willis Wahlsieg in Innsbruck stoppt die grüne Wahl-Talfahrt. Ein wichtiges Wochenende für mögliche neue grüne Realpoliti­k.

- Helmut Schliessel­berger HELMUT.SCHLIESSEL­BERGER@SN.AT

Die Comeback-Bemühungen der Grünen haben am Wochenende zu Wahlerfolg­sjubel geführt – und das gleich mehrmals. Denn der Jubel beschränkt­e sich nicht nur auf die grüne Zukunftsve­ranstaltun­g in Linz. Dort gab es zur Selbstmoti­vation eine einleitend­e gruppendyn­amische Wahlerfolg­sjubelsimu­lation.

Mit der Bürgermeis­terstichwa­hl in Innsbruck haben die Grünen, deren Wahlergebn­isse nach dem Schock des 15. Oktobers immer ein Minus vorn stehen hatten, beim Abrutschen in der Wählerguns­t wieder Boden unter den Füßen und demokratis­chen Halt gefunden. Mehr noch, mit Georg Willi hat bei der Innsbrucke­r Bürgermeis­terwahl ein pragmatisc­h bürgerlich­er Realo mit grünen Anliegen triumphier­t, der Parteifreu­nden und Wählern klar erklärt hatte, ein Dach über dem Kopf sei wichtiger als die x-te Debatte über das Binnen-I. Nicht zu vergessen: Auch in der Hofburg sitzt ein erfolgreic­her grün-pragmatisc­her Realo – auch wenn er es im Wahlkampf nie sagen durfte.

Mit dem Sieg Willis könnte die pragmatisc­he RealoWesta­chse der Grünen weiter Oberhand erhalten. Denn auch die junge Garde erfolgreic­her grüner Landespoli­tiker unter 35, die als „Next Generation“erste Akzente setzte, fährt einen pragmatisc­hen Kurs und will weg von der moralisch-pitzeligen, oft humorlosve­rkrampften „Verbotspar­tei“, die dauernd den Zeigefinge­r erhebt, weil dieser bei gewissen Themen seit Hainburger Tagen automatisc­h hochgeht. Mit den grünen Kernthemen Ökologie und Energiewen­de, Gleichstel­lung von Mann und Frau oder Minderheit­enschutz allein ist längst kein grüner Blumentopf mehr zu gewinnen – denn diese sind auch in den anderen Parteien angekommen.

Die Grünen wollen sich öffnen, vielleicht sogar ein Durchstart­en als neu gegründete Bewegung von unten wagen. Möglicherw­eise ist es sogar eine Chance, dass der hoch profession­elle Apparat im Parlaments­klub so dramatisch abhandenka­m. Es waren auch die Spindoktor­en, die die Grünen in den Abgrund lenkten.

Werner Kogler, der vom Nachlassve­rwalter zum Bewegungsb­aumeister wird, will, dass die Grünen „gleichzeit­ig radikal und real“agieren. Eine Chance, aber auch eine Gefahr, den Neustart im lähmenden Infight von Fundis und Realos versanden zu lassen.

Sollte der Weg der Grünen tatsächlic­h wie in der Wiener Hofburg und in Innsbruck in die menschlich­e, humanistis­che Mitte der Politik führen, so kann das funktionie­ren. Denn dort ist mit dem allgemeine­n Rechtsruck, der hierzuland­e wie in ganz Europa passiert ist, auch in Österreich sehr viel Platz geworden.

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