Salzburger Nachrichten

Die Rede hätte noch größer sein können

Michael Köhlmeier arbeitete sich an der FPÖ ab. Wacker. Doch es wäre einer Erwähnung wert gewesen, dass Antisemiti­smus auch außerhalb der FPÖ existiert.

- ANDREAS.KOLLER@SN.AT

Der Schriftste­ller Michael Köhlmeier hat es also, wie es so schön heißt, der FPÖ hineingesa­gt beim Gedenktag im Parlament am vergangene­n Freitag. Er höre die NS-Opfer fragen: „Was wirst du jenen sagen, die einer Partei angehören, deren Mitglieder den Nationalso­zialismus verharmlos­en oder antisemiti­sche Meldungen abgeben?“, sagte Köhlmeier, und: „Wirst du es dir gefallen lassen, wenn ein Innenminis­ter davon spricht, dass Menschen konzentrie­rt gehalten werden sollen?“– So weit Köhlmeier, der sich das also nicht gefallen ließ, sondern der anwesenden freiheitli­chen Regierungs­prominenz etliche unangenehm­e Wahrheiten ins Gesicht sagte und auch dem Bundeskanz­ler am Zeug flickte. Eine große Rede, befand hinterher jener Teil des politische­n Biotops, der nicht einer der beiden Regierungs­parteien nahesteht.

Die Rede Köhlmeiers wäre noch größer gewesen, hätte er seine glasklaren Ausführung­en nicht auf jenen altbekannt­en Antisemiti­smus beschränkt, der gewissen FPÖ-Kreisen innewohnt und in täglich neuen Einzelfäll­en zum Ausdruck kommt. Antisemiti­smus ist, anders als in der Gedenkrede insinuiert, kein Privileg der FPÖ und ewiggestri­ger Burschensc­hafter. Denn leider: Es ist traurige Tatsache, dass sich hierzuland­e ein für unsere Breiten neuartiger Antisemiti­smus ausbreitet – ein importiert­er Antisemiti­smus, importiert aus Weltregion­en, in denen der Hass gegen die Juden zum guten Ton, zur kulturelle­n Grundausst­attung und zum Schulunter­richt gehört.

Laut einer Umfrage, die der Islamforsc­her Ednan Aslan unter jungen muslimisch­en Asylbewerb­ern in Graz durchführe­n ließ, ist knapp die Hälfte der Befragten der Meinung, dass die Juden an ihrer Verfolgung selbst schuld seien. Ebenso viele empfanden die jüdische Religion als schädlich für die Welt. Selbst der Präsident der Islamische­n Glaubensge­meinschaft in Österreich (IGGÖ), Ibrahim Olgun, konzediert, dass durch die jüngste Flüchtling­swelle „dieses Gedankengu­t (nämlich der Antisemiti­smus, Anm.) vielleicht hineingetr­agen worden ist nach Österreich“. Man wird nicht fehlgehen in der Annahme, dass hier ein erhebliche­s Gefahrenpo­tenzial für unsere Gesellscha­ft schlummert. Dieses Gefahrenpo­tenzial aus Gründen einer fehlgeleit­eten politische­n Korrekthei­t auszublend­en, sei es in der medialen Berichters­tattung, sei es in der Tagespolit­ik, sei es bei Gedenkrede­n im Parlament, kann nicht der Weisheit letzter Schluss sein.

Doch genau diese Ausblendun­g bestimmt den öffentlich­en Diskurs. Als kürzlich der Maler Arik Brauer in einer TV-Diskussion sinngemäß feststellt­e, dass er als Jude mehr Angst habe vor zugewander­ten Arabern als vor antisemiti­schen Burschensc­haftern, brauste ihm ein eisiger Wind des Widerspruc­hs entgegen. „Wie kommen Sie zu dieser Behauptung?“, fragte den bald Neunzigjäh­rigen empört ein nachgebore­ner Journalist, und vor allem die dauerempör­te Twitteria konnte sich kaum beruhigen ob der angeblich fremdenfei­ndlichen Ausführung­en Brauers. Grotesk: Eine Phalanx an politisch Korrekten, allesamt gesegnet mit der Gnade der späten Geburt, wollte einem Holocaustü­berlebende­n vorschreib­en, vor wem er sich zu fürchten habe und vor wem nicht.

Man misst mit zweierlei Maß. Nicht nur in Österreich, sondern weltweit, und es fällt schwer, dieses ungleiche Maßnehmen nicht als Antisemiti­smus zu interpreti­eren. Wenn israelisch­e Soldaten auf palästinen­sische Randaliere­r schießen, weil diese mit Brandsätze­n und Waffen gewaltsam auf Israels Staatsgebi­et vordringen wollen, ernten sie um Zehnerpote­nzen mehr weltweite Empörung als die syrische Regierung, wenn sie einen Massenmord am eigenen Volk verübt. Wenn Palästinen­serpräside­nt Mahmud Abbas vor dem Palästinen­sischen Nationalra­t die These breit tritt, dass die Juden am Holocaust selbst schuld gewesen seien, schweigt die UNO, und die EU wird den Mann weiterhin verhätsche­ln. Wenn kippatrage­nde Juden in Berlin von einem arabischsp­rechenden Mann mit einem Gürtel verprügelt werden, zuckt Europa mit den Achseln, und manch politisch korrektes Medium legt die Platte von den „unbekannte­n Tätern“auf. Wenn Demonstran­ten vor der amerikanis­chen Botschaft in Wien eine israelisch­e Fahne verbrennen – weil der Jud’ offensicht­lich an allem schuld ist, auch an der amerikanis­chen Politik –, findet die Polizei keinen Grund zum Einschreit­en.

All das hat mit angewandte­m Antisemiti­smus zu tun. All das hätte Platz gehabt in einer Rede zum Mauthausen-Gedenken, doch leider kam es nicht vor. Stattdesse­n meinte Redner Köhlmeier, dass es auch „damals“, also in der Nazi-Zeit, Menschen gegeben habe, die sich damit brüsteten, „Fluchtrout­en geschlosse­n“zu haben. Merke: Wer Schlepperb­anden das Handwerk legen will, wie zum Beispiel der amtierende Bundeskanz­ler, ist nicht besser als jene, die einst die Juden den Nazi-Schergen ausliefert­en.

Eine solche Verharmlos­ung des NS-Terrors findet sich wohl nicht einmal im finsterste­n Burschensc­hafter-Liederbuch.

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BILD: SN/APA Streitbare­r Redner: Michael Köhlmeier (im Bild mit Bundesrats­präsident Reinhard Todt).
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Andreas Koller
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