Europas seltsam schiefer Blick auf die Krisen der Welt
Syrien, Ukraine, Jemen, Nahost – eine europäische Elite sucht die Schuld immer beim Westen, und da vor allem bei den USA.
Es vergeht kein Tag, ohne dass in den Medien von den gewaltsamen Krisen und Kriegen an den Brennpunkten der Welt die Rede ist. Es vergeht auch kein Tag, an dem nicht obergescheite Leute uns ganz genau erklären, wessen falsche Politik Ursache für all das Leiden sei. Erstaunlicherweise deuten diese Schuldzuweisungen, sie kommen sowohl aus dem linken wie aus dem rechten politischen Spektrum, immer in dieselbe Richtung: die NATO war’s oder die USA oder die NATO unter dem unseligen Einfluss der USA.
Man betrachte nur einmal drei der derzeit heißesten Krisenherde und die gängigsten Interpretationen: Ukraine, Syrien und Jemen.
Die Spaltung der Ukraine, die Annexion der Krim durch Russland, der asymmetrische Krieg russischer Terroristen im Osten des Landes – alles die Schuld der NATO. Hätte der Westen seinen Einflussbereich nicht so dicht an Russland herangeschoben (mit der Aufnahme der Osteuropäer in die NATO und die EU), dann hätte Moskau nach Ansicht von linken und rechten Politikern und Publizisten ja gar keinen Anlass gehabt, sich militärisch „zur Wehr zu setzen“.
Da klingt ein altes Muster durch, das wir aus dem derzeit viel besungenen Aufbruch der 68er-Generation kennen. Damals protestierte die Jugend gegen den amerikanischen Imperialismus, vor allem den in Vietnam. Dass Europa unter dem russischen Imperialismus litt, der vom Baltikum bis ans Schwarze Meer etliche Völker unter seiner Knute hatte, übersahen die Revoluzzer damals. Imperialismus gibt es nach Ansicht vieler nur von Amerika und dem Westen. Die guten Menschen in Europa wissen auch sehr genau über die Verbrechen der Amerikaner an den Indianern Bescheid, haben aber keine Ahnung, dass bei der Schaffung des Russischen Reichs enorm viel Blut der Völker Sibiriens vergossen wurde.
Beispiel Syrien. Selbst als der US-Präsident erklärte, die USA würden das kleine Kontin- gent an Truppen, das sie nach Syrien geschickt hatten, wieder abziehen, verurteilte eine linke ebenso wie eine rechte politische Schickeria die USA und blendete völlig aus, dass Syriens Präsident Assad sein Massaker an der eigenen Bevölkerung ohne die Hilfe der Russen gar nicht zuwege brächte.
Freilich, der Iran hilft auch kräftig mit. Doch das ist den Kritikern der amerikanischen Hegemonie kein Wort wert. Apropos Iran. Den schrecklichen Bürgerkrieg im Jemen ignoriert die europäische Öffentlichkeit nahezu völlig. Es sei denn, man könnte Saudi-Arabien für seine Einmischung dort an den Pranger stellen. Denn die Saudis sind Verbündete der USA und des Imperialismus verdächtig.
Dieselben Kritiker vergessen völlig, dass schiitische Milizen den Bürgerkrieg im Jemen vom Zaun gebrochen haben, die von den Mullahs in Teheran ferngesteuert werden.