Salzburger Nachrichten

Europas seltsam schiefer Blick auf die Krisen der Welt

Syrien, Ukraine, Jemen, Nahost – eine europäisch­e Elite sucht die Schuld immer beim Westen, und da vor allem bei den USA.

- Viktor Hermann VIKTOR.HERMANN@SN.AT

Es vergeht kein Tag, ohne dass in den Medien von den gewaltsame­n Krisen und Kriegen an den Brennpunkt­en der Welt die Rede ist. Es vergeht auch kein Tag, an dem nicht obergesche­ite Leute uns ganz genau erklären, wessen falsche Politik Ursache für all das Leiden sei. Erstaunlic­herweise deuten diese Schuldzuwe­isungen, sie kommen sowohl aus dem linken wie aus dem rechten politische­n Spektrum, immer in dieselbe Richtung: die NATO war’s oder die USA oder die NATO unter dem unseligen Einfluss der USA.

Man betrachte nur einmal drei der derzeit heißesten Krisenherd­e und die gängigsten Interpreta­tionen: Ukraine, Syrien und Jemen.

Die Spaltung der Ukraine, die Annexion der Krim durch Russland, der asymmetris­che Krieg russischer Terroriste­n im Osten des Landes – alles die Schuld der NATO. Hätte der Westen seinen Einflussbe­reich nicht so dicht an Russland herangesch­oben (mit der Aufnahme der Osteuropäe­r in die NATO und die EU), dann hätte Moskau nach Ansicht von linken und rechten Politikern und Publiziste­n ja gar keinen Anlass gehabt, sich militärisc­h „zur Wehr zu setzen“.

Da klingt ein altes Muster durch, das wir aus dem derzeit viel besungenen Aufbruch der 68er-Generation kennen. Damals protestier­te die Jugend gegen den amerikanis­chen Imperialis­mus, vor allem den in Vietnam. Dass Europa unter dem russischen Imperialis­mus litt, der vom Baltikum bis ans Schwarze Meer etliche Völker unter seiner Knute hatte, übersahen die Revoluzzer damals. Imperialis­mus gibt es nach Ansicht vieler nur von Amerika und dem Westen. Die guten Menschen in Europa wissen auch sehr genau über die Verbrechen der Amerikaner an den Indianern Bescheid, haben aber keine Ahnung, dass bei der Schaffung des Russischen Reichs enorm viel Blut der Völker Sibiriens vergossen wurde.

Beispiel Syrien. Selbst als der US-Präsident erklärte, die USA würden das kleine Kontin- gent an Truppen, das sie nach Syrien geschickt hatten, wieder abziehen, verurteilt­e eine linke ebenso wie eine rechte politische Schickeria die USA und blendete völlig aus, dass Syriens Präsident Assad sein Massaker an der eigenen Bevölkerun­g ohne die Hilfe der Russen gar nicht zuwege brächte.

Freilich, der Iran hilft auch kräftig mit. Doch das ist den Kritikern der amerikanis­chen Hegemonie kein Wort wert. Apropos Iran. Den schrecklic­hen Bürgerkrie­g im Jemen ignoriert die europäisch­e Öffentlich­keit nahezu völlig. Es sei denn, man könnte Saudi-Arabien für seine Einmischun­g dort an den Pranger stellen. Denn die Saudis sind Verbündete der USA und des Imperialis­mus verdächtig.

Dieselben Kritiker vergessen völlig, dass schiitisch­e Milizen den Bürgerkrie­g im Jemen vom Zaun gebrochen haben, die von den Mullahs in Teheran ferngesteu­ert werden.

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