Der Mann, der von der Erde fiel
Mit dem Musical „Lazarus“machte David Bowie 2015 seinen Abschied zum Kunstprojekt. Nun wird das Stück erstmals in Österreich inszeniert.
Als David Bowies Musical „Lazarus“im Dezember 2015 Premiere feierte, beschrieben die Kritiker die Geschichte um den Außerirdischen Newton, der auf der Erde am Menschsein verzweifelt, als rätselhaft und surreal. Das Stück spann die Handlung des Buches und des Films „Der Mann, der vom Himmel fiel“fort, in dem Bowie 1976 die Hauptrolle gespielt hatte.
Wenige Wochen nach der Uraufführung von „Lazarus“erlag Bowie seiner lang geheim gehaltenen Krebserkrankung. Das von 17 Bowie-Songs getragene Musical wirkte plötzlich wie die Bilanz eines Popstars, in dessen Musik das Gefühl des Fremdseins in der vorgefundenen Welt und das Greifen nach anderen Sternen stets Leitmotive gewesen waren. „Lazarus“sei „ein schöner Abschiedsbrief eines großen Wandelbaren“, sagt auch der serbische Regisseur Miloš Lolić. Er inszeniert die österreichische Erstaufführung, die am Mittwoch im Volkstheater Premiere feiert. SN: Sie haben einmal gesagt, es habe Sie bisher nie gereizt, ein Musical zu inszenieren. Was hat Sie umgestimmt? Miloš Lolić: Das stimmt, Musicals haben mich nie besonders interessiert. Aber als ich „Lazarus“las, die Bowie-Songs wieder hörte, die im Stück vorkommen, und begann, mir vorzustellen, wie das auf der Bühne aussehen könnte, dachte ich mir: Vielleicht ist dieses Stück perfekt, um es doch einmal auszuprobieren. Letztlich war es eine einfache Entscheidung. „Lazarus“ist ein ernsthaftes Stück mit einer starken Botschaft. Zugleich ist es ein schöner Abschiedsbrief eines unglaublich wandelbaren Künstlers. Und die Songs wecken auch bei mir viele Erinnerungen. SN: Mit welchen Bowie-Songs sind Sie aufgewachsen? Es gab verschiedene Phasen, ich erinnere mich an die Kassetten aus den frühen 80er-Jahren in der Sammlung meiner Eltern. Damals wusste ich nicht, wer der Mann war, der diese Songs sang. Als Teenager, als ich begann, selbst Musik aufzuspüren, entdeckte ich andere Seiten an Bowie: Seine Experimente mit Drum ’n’ Bass, die er in den 90ern machte, aber auch frühere Alben wie „Low“oder „Station to Station“, die entstanden, bevor ich geboren wurde. David Bowie war ein großer Gestaltwandler. SN: Ihre Regiearbeit begann diesmal also mit Plattenhören? Ja. Ich habe mir auch die Musik der New Yorker und Londoner Produktion angehört – und war ein bisschen überrascht, dass die Arrangements für die Bühne fast hollywoodartig klangen. Für unsere Produktion haben wir viel diskutiert, wie wir auch diesen schmutzigen, punkigen Charakter, der in Bowies Musik ja auch zu finden ist, zurückbringen. Unsere Version wird definitiv eine stärker europäische sein. SN: Gibt es auch Einschränkungen von David Bowies Nachlassverwaltern, was Veränderungen am Werk betrifft? Ja, die gibt es. Auch das ist für mich eine neue Erfahrung: dass man im Text nicht viele Striche machen, die Reihenfolge der Songs nicht verändern darf. Auch bei den Arrangements gibt es Vorschriften. Aber Einschränkungen können ja auch ein Ansporn sein. Als ich das erste Mal am Volkstheater gearbeitet habe, inszenierte ich ein Stück im Schwarzen Salon, der nur für 30 Personen zugelassen ist. Allein die Idee, etwas zu machen, was auf so eine kleine Gruppe beschränkt ist, klang nach einem Zwang. Aber es hat mir neue Perspektiven eröffnet. SN: Suchen Sie als Regisseur oft Inspiration in der Musik? Für mich persönlich war Musik immer das Größte. Aber wenn ich ans Theater denke, will ich vor allem dem Text erlauben, mich zu führen. Andererseits habe ich im Theater auch immer wieder mit Sound experimentiert – bis zu dem Punkt, wo ich Theater in totaler Stille machen wollte, aus der nur die menschliche Stimme als Klang zu hören ist. SN: Ihre Muttersprache ist Serbisch. Welche Rolle spielt der Klang der Sprache, wenn Sie ein Stück auf Deutsch inszenieren? Eine sehr große! Als ich 2011 erstmals in München für das deutschsprachige Theater arbeitete, musste ich einen anderen Zugang zu der Sprache finden, die nicht meine war. Das hat mir gezeigt, dass ein Text für sich schon eine Art musikalische Partitur sein kann. Bei Elfriede Jelinek oder Werner Schwab sieht man diese musikalische Qualität schon auf dem Papier. Und man fühlt sie, sobald die Schauspieler den Text zu lesen beginnen. SN: Bei den Salzburger Festspielen waren sie 2014 im Young Directors Project zu Gast. Gibt es Zukunftspläne mit Salzburg? Oder dürften Sie das, wenn’s so wäre, noch nicht sagen? Das darf ich nicht sagen. SN: Im Stück „Lazarus“tragen die Songs aus David Bowies Karriere eine Handlung, die viele Kritiker nach der Premiere 2015 in New York als verrätselt beschrieben haben. Wie lesen Sie die Geschichte? „Lazarus“ist einerseits ein rätselhaftes Stück, weil es keine klare Erzählung gibt. Stattdessen lädt es die Zuschauer ein, die Punkte selbst zu einem Bild zu verbinden. Am Ende hat vielleicht jeder seine eigene Version der Geschichte – so wie ja auch jeder seine eigenen Assoziationen an Songs wie „The Man Who Sold The World“, „Changes“oder „Heroes“mitbringt. Diese Offenheit der Geschichte wollte ich behalten. Die Geschichte bietet aber andererseits keine wirklichen Schwierigkeiten. Es ist eine Art zweiter Akt zu dem Buch „Der Mann, der vom Himmel fiel“und der Verfilmung von 1976. Bowie spielte darin den Protagonisten, einen Alien, der auf der Suche nach Wasser auf die Erde kommt. „Lazarus“zeigt diesen Charakter Newton, der von der Erde nicht mehr weggekommen ist, viele Jahre später. Ich glaube aber nicht, dass das Publikum den Film kennen muss. Das Musical bezieht sich darauf, aber es führt in unsere Zeit. SN: Newton hadert mit dem Zustand der Welt? Am Anfang sagte ich zu den Schauspielern: „Wir müssen uns also über einen Außerirdischen unterhalten.“Aber allmählich hat sich das im Probenprozess umgedreht: Es geht nicht nur um einen Alien. Es geht um uns selbst. Wir sind zwar auf diesem Planeten geboren, aber warum haben heute so viele das Gefühl, dass uns die Welt entgleitet? Da muss man nicht nur an die US-Politik denken, man kann auch über die österreichische Politik reden, oder die Umweltzerstörung. Was passiert da, dass wir Aliens in unserer eigenen Welt werden?
„Jeder hört ja auch Bowies Songs anders.“