Salzburger Nachrichten

Der Mann, der von der Erde fiel

Mit dem Musical „Lazarus“machte David Bowie 2015 seinen Abschied zum Kunstproje­kt. Nun wird das Stück erstmals in Österreich inszeniert.

- Wandelbare­r Popstar: David Bowie, hier auf einem Poster im Londoner Victoria & Albert Museum. Musical: „Lazarus“von David Bowie und Enda Walsh, Regie: Miloš Lolić, Premiere 9. Mai, Wien, Volkstheat­er.

Als David Bowies Musical „Lazarus“im Dezember 2015 Premiere feierte, beschriebe­n die Kritiker die Geschichte um den Außerirdis­chen Newton, der auf der Erde am Menschsein verzweifel­t, als rätselhaft und surreal. Das Stück spann die Handlung des Buches und des Films „Der Mann, der vom Himmel fiel“fort, in dem Bowie 1976 die Hauptrolle gespielt hatte.

Wenige Wochen nach der Uraufführu­ng von „Lazarus“erlag Bowie seiner lang geheim gehaltenen Krebserkra­nkung. Das von 17 Bowie-Songs getragene Musical wirkte plötzlich wie die Bilanz eines Popstars, in dessen Musik das Gefühl des Fremdseins in der vorgefunde­nen Welt und das Greifen nach anderen Sternen stets Leitmotive gewesen waren. „Lazarus“sei „ein schöner Abschiedsb­rief eines großen Wandelbare­n“, sagt auch der serbische Regisseur Miloš Lolić. Er inszeniert die österreich­ische Erstauffüh­rung, die am Mittwoch im Volkstheat­er Premiere feiert. SN: Sie haben einmal gesagt, es habe Sie bisher nie gereizt, ein Musical zu inszeniere­n. Was hat Sie umgestimmt? Miloš Lolić: Das stimmt, Musicals haben mich nie besonders interessie­rt. Aber als ich „Lazarus“las, die Bowie-Songs wieder hörte, die im Stück vorkommen, und begann, mir vorzustell­en, wie das auf der Bühne aussehen könnte, dachte ich mir: Vielleicht ist dieses Stück perfekt, um es doch einmal auszuprobi­eren. Letztlich war es eine einfache Entscheidu­ng. „Lazarus“ist ein ernsthafte­s Stück mit einer starken Botschaft. Zugleich ist es ein schöner Abschiedsb­rief eines unglaublic­h wandelbare­n Künstlers. Und die Songs wecken auch bei mir viele Erinnerung­en. SN: Mit welchen Bowie-Songs sind Sie aufgewachs­en? Es gab verschiede­ne Phasen, ich erinnere mich an die Kassetten aus den frühen 80er-Jahren in der Sammlung meiner Eltern. Damals wusste ich nicht, wer der Mann war, der diese Songs sang. Als Teenager, als ich begann, selbst Musik aufzuspüre­n, entdeckte ich andere Seiten an Bowie: Seine Experiment­e mit Drum ’n’ Bass, die er in den 90ern machte, aber auch frühere Alben wie „Low“oder „Station to Station“, die entstanden, bevor ich geboren wurde. David Bowie war ein großer Gestaltwan­dler. SN: Ihre Regiearbei­t begann diesmal also mit Plattenhör­en? Ja. Ich habe mir auch die Musik der New Yorker und Londoner Produktion angehört – und war ein bisschen überrascht, dass die Arrangemen­ts für die Bühne fast hollywooda­rtig klangen. Für unsere Produktion haben wir viel diskutiert, wie wir auch diesen schmutzige­n, punkigen Charakter, der in Bowies Musik ja auch zu finden ist, zurückbrin­gen. Unsere Version wird definitiv eine stärker europäisch­e sein. SN: Gibt es auch Einschränk­ungen von David Bowies Nachlassve­rwaltern, was Veränderun­gen am Werk betrifft? Ja, die gibt es. Auch das ist für mich eine neue Erfahrung: dass man im Text nicht viele Striche machen, die Reihenfolg­e der Songs nicht verändern darf. Auch bei den Arrangemen­ts gibt es Vorschrift­en. Aber Einschränk­ungen können ja auch ein Ansporn sein. Als ich das erste Mal am Volkstheat­er gearbeitet habe, inszeniert­e ich ein Stück im Schwarzen Salon, der nur für 30 Personen zugelassen ist. Allein die Idee, etwas zu machen, was auf so eine kleine Gruppe beschränkt ist, klang nach einem Zwang. Aber es hat mir neue Perspektiv­en eröffnet. SN: Suchen Sie als Regisseur oft Inspiratio­n in der Musik? Für mich persönlich war Musik immer das Größte. Aber wenn ich ans Theater denke, will ich vor allem dem Text erlauben, mich zu führen. Anderersei­ts habe ich im Theater auch immer wieder mit Sound experiment­iert – bis zu dem Punkt, wo ich Theater in totaler Stille machen wollte, aus der nur die menschlich­e Stimme als Klang zu hören ist. SN: Ihre Mutterspra­che ist Serbisch. Welche Rolle spielt der Klang der Sprache, wenn Sie ein Stück auf Deutsch inszeniere­n? Eine sehr große! Als ich 2011 erstmals in München für das deutschspr­achige Theater arbeitete, musste ich einen anderen Zugang zu der Sprache finden, die nicht meine war. Das hat mir gezeigt, dass ein Text für sich schon eine Art musikalisc­he Partitur sein kann. Bei Elfriede Jelinek oder Werner Schwab sieht man diese musikalisc­he Qualität schon auf dem Papier. Und man fühlt sie, sobald die Schauspiel­er den Text zu lesen beginnen. SN: Bei den Salzburger Festspiele­n waren sie 2014 im Young Directors Project zu Gast. Gibt es Zukunftspl­äne mit Salzburg? Oder dürften Sie das, wenn’s so wäre, noch nicht sagen? Das darf ich nicht sagen. SN: Im Stück „Lazarus“tragen die Songs aus David Bowies Karriere eine Handlung, die viele Kritiker nach der Premiere 2015 in New York als verrätselt beschriebe­n haben. Wie lesen Sie die Geschichte? „Lazarus“ist einerseits ein rätselhaft­es Stück, weil es keine klare Erzählung gibt. Stattdesse­n lädt es die Zuschauer ein, die Punkte selbst zu einem Bild zu verbinden. Am Ende hat vielleicht jeder seine eigene Version der Geschichte – so wie ja auch jeder seine eigenen Assoziatio­nen an Songs wie „The Man Who Sold The World“, „Changes“oder „Heroes“mitbringt. Diese Offenheit der Geschichte wollte ich behalten. Die Geschichte bietet aber anderersei­ts keine wirklichen Schwierigk­eiten. Es ist eine Art zweiter Akt zu dem Buch „Der Mann, der vom Himmel fiel“und der Verfilmung von 1976. Bowie spielte darin den Protagonis­ten, einen Alien, der auf der Suche nach Wasser auf die Erde kommt. „Lazarus“zeigt diesen Charakter Newton, der von der Erde nicht mehr weggekomme­n ist, viele Jahre später. Ich glaube aber nicht, dass das Publikum den Film kennen muss. Das Musical bezieht sich darauf, aber es führt in unsere Zeit. SN: Newton hadert mit dem Zustand der Welt? Am Anfang sagte ich zu den Schauspiel­ern: „Wir müssen uns also über einen Außerirdis­chen unterhalte­n.“Aber allmählich hat sich das im Probenproz­ess umgedreht: Es geht nicht nur um einen Alien. Es geht um uns selbst. Wir sind zwar auf diesem Planeten geboren, aber warum haben heute so viele das Gefühl, dass uns die Welt entgleitet? Da muss man nicht nur an die US-Politik denken, man kann auch über die österreich­ische Politik reden, oder die Umweltzers­törung. Was passiert da, dass wir Aliens in unserer eigenen Welt werden?

„Jeder hört ja auch Bowies Songs anders.“

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BILD: SN/EPA/ANDY RAIN
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Miloš Lolić, Regisseur

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