In einer Fabrik wird statt Autos ein Museum gebaut
Mit Hilfe des Centre Pompidou wird das legendäre Citroën-Werk in Brüssel wiederbelebt. Die örtliche Kunstszene schmollt.
Es ist zuallererst die Großzügigkeit, die beeindruckt: Riesige Rampen und viele tausend Quadratmeter offener Fläche verteilen und verzweigen sich unter einer luftigen Glas-Stahl-Konstruktion auf mehreren Etagen und geben den Blick nach draußen auf Hallen, Straßen und Wasser frei. Das Citroën-Werk am Kanal von Brüssel, einst wirtschaftliche Schlagader, steht symbolisch für die Transformation der Stadt. Die Fabrik des französischen Autoherstellers, gebaut in den 1930er-Jahren im Stil des Modernismus, war lange die größte Europas. Dann wanderte die Industrie ab, es wurde nur noch repariert und – im berühmten gläsernen Schauraum – verkauft.
Jetzt wird aus dem geschichtsträchtigen Ort ein Museum für zeitgenössische Kunst und Architektur. In Kooperation mit dem Pariser Centre Pompidou, einem der größten modernen Museen der Welt (der Vertrag läuft auf zehn Jahre), wurde das „Kanal Centre Pompidou“am Wochenende als eine Art „Vorentwurf“des Museums eröffnet. Für ein gutes Jahr bis 10. Juni 2019 werden die 35.000 Quadratmeter der original erhaltenen Autowerkstatt als eine Art Kunstlaboratorium, als „offener Raum zur Reflektion der Herausforderungen des Museums von morgen“dienen, sagte Yves Goldstein, einer der Initiatoren des Projekts. Die Skulpturen und Installationen – darunter Namen von Jean Tinguely über Donald Judd und Roy Lichtenstein bis Erwin Wurm – kommen vom Pariser Centre Pompidou oder wurden von in Brüssel lebenden Künstlern eigens für „Kanal brut“konzipiert. Dazu kommt eine Schau über die Citroën-Fabrik des Brüssler Architektur-Zentrums CIVA, das dort seinen Sitz haben wird, sowie Performances und Veranstaltungen.
Ab Herbst nächsten Jahres bis Ende 2022 soll der Umbau für das eigentliche Museum samt Eventzone und Ateliers laufen – wobei Teile des Gebäudes aber weiter zugänglich blieben. Der Plan dafür stammt von den Architekturbüros NoA (Brüssel), EM2N (Zürich) und Sergison Bates (London), die den Architekturwettbewerb mit 92 Einreichungen gewonnen haben. Deren Entwurf werte die „ikonischen Elemente der vorhandenen Architektur“auf und bette „Kanal Centre Pompidou“in den urbanen Kontext ein, erläutern die Projektbetreiber.
Das Umfeld des neuen Prestigeprojekts der Region Brüssel, die das Gebäude gekauft hat, ist problematisch. Entlang des Kanals wird zwar gebaut und renoviert, der Stadtteil gilt aber als wenig attraktiv. Und schräg gegenüber liegt der Bezirk Molenbeek, einer der sozialen Brennpunkte der EU-Hauptstadt.
Dass jetzt 150 Millionen Euro in die Renovierung des künftigen Vorzeige-Museum fließen, das ist mehr, als alle Kunstinstitutionen zusammen an Budget haben, regt Vertreter der Brüsseler Kunstszene auf. Nötig wären Maßnahmen gegen Jugendarbeitslosigkeit und Bildungsprogramme, sagt Dirk Snauwaert, Kurator und Direktor des Zentrums für zeitgenössische Kunst „Wiels“. „Wir glauben nicht, dass Hochkultur, speziell Pariser Prestigekultur, da helfen kann.“
Er hält die Kooperation mit dem Centre Pompidou für „ein absurdes Beispiel der politischen Unfähigkeit und vorwahlbedingten Profilierungsdrang in Belgien, mariniert mit französischem Kulturimperialismus“. Das sei „Kanal“nicht, betonte der Präsident des Centre Pompidou, Serge Lasvignes, bei der Eröffnung. Es gehe nicht darum, Kunstwerke herumzutransportieren, sondern um einen bestimmten Geist und um Zusammenarbeit. Ausstellung: