NOMI kann auch fahren
Junge Leute in China wollen oft kein Auto, sondern eine fahrbare Ergänzung ihres Smartphones. Dass der Antrieb elektrisch ist, steht natürlich fest.
NOMI scherzt gern. Er sitzt oben auf dem Armaturenbrett. NOMI kann da zwar nicht weg, aber immerhin nimmt er mit seiner Mimik am Leben teil: Im Stil von HandySmileys verzieht er die Augen. Und er kann sprechen. Wenn er sieht, wie der Beifahrer der Fahrerin ein Küsschen gibt, dann zeigt sein Gesicht ein Herzchen und er sagt: „Oh wow!“
Wenn es draußen anfängt zu regnen, zeigt er Wassertropfen an und fragt: „Sagt mal, Leute, wäre es jetzt nicht vielleicht an der Zeit, das Schiebedach zuzumachen?“
Da NOMI komplett in die Bordelektronik integriert ist, kann er seinen Vorschlag auf Wunsch sogar gleich umsetzen. Oder die Tür des Autos für den Fahrer öffnen, wenn dieser per App den Befehl dazu gibt.
NOMI ist der intelligente Assistent im neuen ES8, einem StadtSUV mit sechs Sitzen, den der chinesische Hersteller NIO auf der Pekinger Automesse vorstellte. NIO versteht sich eher als MobilitätsStart-up denn als Autohersteller. Das Unternehmen sammelt gerade 500 Millionen Dollar an frischem Kapital ein – ein Großteil davon kommt aus dem amerikanischen Silicon Valley. Es ist fast unnötig zu sagen, dass die Fahrzeuge von NIO rein elektrisch fahren und bis oben hin mit digitalen Tricks vollgestopft sind.
Firmen wie NIO treffen in China einen Nerv. Die jungen Leute in Asien wollen oft gar kein Auto, sondern eine fahrbare Ergänzung zu ihrem Handy. Ihr ganzes Leben spielt sich im Smartphone ab. Warum sollte das Auto da außen vor stehen?
Das Interesse an heißen Motoren, röhrenden Auspuffen, hoher Geschwindigkeit oder riskanten Fahrtricks tendiert bei Großstädtern in Fernost mittlerweile gegen null.
Dementsprechend sahen die Neuvorstellungen auf dem Branchentreffen in Peking aus. Schon das Plakat der Messe zeigte einen Roboter, der einem Menschen die Hand reicht. Alle chinesischen Technikfirmen springen auf den Trend auf und entwickeln neue Produkte. Selbst der E-Commerce-Gigant Alibaba steigt in die Mobilität ein. An seinem Hauptsitz in der Küstenstadt Hangzhou testet er seit neuestem selbstfahrende Autos. Erste Prototypen dürften das Testgelände schon bald verlassen und Praxiserfahrung auf den Straßen der Stadt sammeln, berichten chinesische Medien. Das Unternehmen hat für das Projekt einen Professor von der Nanyang-Universität in Singapur als Chefentwickler angeworben und 50 Ingenieure und Informatiker angestellt. Partner für den Bau des fahrbaren Untersatzes der künstlichen Intelligenz ist der Schanghaier Autohersteller SAIC.
Auch die deutschen Anbieter wollen dabei sein: Auf der Messe haben Alibaba und Daimler eine Zusammenarbeit bei der Anwendung von „digitalen Diensten auf Basis künstlicher Intelligenz“abgeschlossen. Volkswagen und Audi sowie BMW knüpfen in China ebenfalls intensiv Kontakte zur digitalen Verknüpfung und Aufwertung ihrer Produkte. Ziele sind hier beispielsweise der Dialog mit dem Auto mittels Sprache. Gerade die Eingabe von Zielen ins Navi war wegen der chinesischen Schrift bisher etwas kompliziert. Die Technik kann hier Abhilfe schaffen.
Auch Tencent, der Anbieter der Universal-App WeChat, und die Suchmaschine Baidu arbeiten derweil am autonomen Fahren.
Die Verknüpfung der Geschäftsbereiche hat Sinn: Chinas Technikkonzerne haben ohnehin eine Neigung, alles aus einer Hand anzubieten: mobiles Bezahlen, Leihfahrräder, Sozialmedien, Internethandel. Zwischen E-Commerce und Autos sind verblüffende Überschneidungen möglich, wie die chinesischen Erfahrungen zeigen.
Die künstliche Intelligenz NOMI im NIO ist beispielsweise in der Lage, den Kofferraum für den Lieferdienst zu öffnen. OnlineBestellungen landen so während der Arbeitszeit direkt im Auto des Empfängers. Das Auto soll dem Logistiker dabei direkt mitteilen, wo es steht. NOMI informiert seinen Besitzer per Message, sobald das Paket angekommen ist.
Die chinesische Regierung fördert die Digitalisierung der Mobilität nach Kräften. Die Regierung hat bereits Planziele für die Verbreitung intelligenter Fahrzeuge ausgegeben. Bis 2020 soll die Hälfte der Autos auf der Straße dazugehören.
Außerdem finanziert Peking Lehrstühle und Projekte an den Universitäten und senkt die bürokratischen Hürden für Test und Praxiseinführung der neuen Technik.