Salzburger Nachrichten

Fortschrit­t braucht den Konflikt

- Diplom-Jurist 9552 Steindorf-Stiegl

Zu „Alt, aber noch lange nicht überholt“(SN vom 30. 4.):

Heute herrscht in Österreich ein Verlangen nach Eintracht, nach einer Autorität, die über den Wassern des Streits schwebt. Dies ist ein Erbe der Monarchie. In der krisengesc­hüttelten Doppelmona­rchie war Kaiser Franz Joseph I. dank seiner überaus langen Regentscha­ft – er sollte es als längst regierende­r Habsburger der Geschichte auf 68 Jahre bringen – tatsächlic­h eine Konstante. Er war der allgegenwä­rtige Kitt des Staatsgebi­ldes. Seine Porträts schmückten die Amtsstuben und Klassenräu­me in der gesamten Monarchie. Seine Person wurde in der öffentlich­en Wahrnehmun­g überhöht dargestell­t, in Festakten als Symbol der staatliche­n Einheit beschworen.

Die Sozialpart­nerschaft in ihrer jetzigen Form ist eine Ausprägung dieser österreich­ischen Harmoniese­hnsucht. Dabei wird übersehen, dass der Konflikt – als „Wettkampf der Ideen“verstanden – ein Kriterium der Freiheit und eine Notwendigk­eit für Fortschrit­t und Wachstum ist. Doch kann die Abschaffun­g der Sozialpart­nerschaft auch nicht die Lösung sein. Ohne ein gewisses Maß an Solidaritä­t zwischen Arbeitgebe­rn und Arbeitnehm­ern würde die Gesellscha­ft im Streit untergehen, und ohne ein gewisses Maß an Konflikt würde sie in Trägheit und Stillstand erstarren. Die Wahrheit liegt – wie so oft – in der Mitte. Michael Pfeiffer,

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