Fortschritt braucht den Konflikt
Zu „Alt, aber noch lange nicht überholt“(SN vom 30. 4.):
Heute herrscht in Österreich ein Verlangen nach Eintracht, nach einer Autorität, die über den Wassern des Streits schwebt. Dies ist ein Erbe der Monarchie. In der krisengeschüttelten Doppelmonarchie war Kaiser Franz Joseph I. dank seiner überaus langen Regentschaft – er sollte es als längst regierender Habsburger der Geschichte auf 68 Jahre bringen – tatsächlich eine Konstante. Er war der allgegenwärtige Kitt des Staatsgebildes. Seine Porträts schmückten die Amtsstuben und Klassenräume in der gesamten Monarchie. Seine Person wurde in der öffentlichen Wahrnehmung überhöht dargestellt, in Festakten als Symbol der staatlichen Einheit beschworen.
Die Sozialpartnerschaft in ihrer jetzigen Form ist eine Ausprägung dieser österreichischen Harmoniesehnsucht. Dabei wird übersehen, dass der Konflikt – als „Wettkampf der Ideen“verstanden – ein Kriterium der Freiheit und eine Notwendigkeit für Fortschritt und Wachstum ist. Doch kann die Abschaffung der Sozialpartnerschaft auch nicht die Lösung sein. Ohne ein gewisses Maß an Solidarität zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern würde die Gesellschaft im Streit untergehen, und ohne ein gewisses Maß an Konflikt würde sie in Trägheit und Stillstand erstarren. Die Wahrheit liegt – wie so oft – in der Mitte. Michael Pfeiffer,