Salzburger Nachrichten

Jupiter im Élysée-Palast

Trotz Streiks und Protesten ist Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron nach seinem ersten Amtsjahr beliebter als seine Vorgänger.

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HANS-HAGEN BREMER

PARIS. War es Zufall? Oder hatte Emmanuel Macron das Datum des 1. Mai mit Bedacht gewählt? Zur selben Zeit, als die Gewerkscha­ften den Tag der Arbeit mit ihren traditione­llen Umzügen begingen, meldete sich Frankreich­s Präsident vom Staatsbesu­ch in Australien in einem Interview mit dem amerikanis­chen Wirtschaft­smagazin „Forbes“zu Wort. Darin kündigte er das Ende der sogenannte­n exit tax an. Macrons konservati­ver Vorvorgäng­er Nicolas Sarkozy hatte die Steuer 2011 eingeführt, um Unternehme­rn die Abwanderun­g ins fiskalisch­e Exil zu versperren, wenn sie ihre Betriebe ohne Entrichtun­g der in Frankreich fälligen Abgaben auf Wertzuwäch­se ins Ausland verkauften. Zum „leader of the free markets“erhob das US-Magazin daraufhin den Präsidente­n, der am 7. Mai 2017 von 66 Prozent der Wähler für das Verspreche­n in den Élysée-Palast geschickt worden war, Frankreich „in ein Land zu transformi­eren, das sich der Realität des 21. Jahrhunder­ts stellt“.

Doch zu Hause erntete Macron für diesen neuen Schritt seiner Reformpoli­tik sofort heftige Kritik. Da erschien er vielen wieder als Jupiter, wie er wegen seines zuweilen autoritäre­n Regierungs­stils genannt wird, und als „Präsident der Reichen“. Dieses Etikett hatten ihm nicht nur linke Opposition­elle, sondern auch Gegner auf der Rechten verpasst, um den „Jupiter im ÉlyséePala­st“als Unternehme­rfreund zu entlarven: die Lockerung des Arbeitsrec­hts, das mehr Flexibilit­ät bei der Gestaltung betrieblic­her Vereinbaru­ngen ermöglicht, die Abschaffun­g der Vermögenst­euer außer auf Immobilien, die Einführung einer „Flatrate“auf Kapitalert­räge, die schrittwei­se Senkung der Unternehme­nsteuer, das Ende der Wohnsteuer für 80 Prozent der Haushalte – und im Gegenzug, zur Finanzieru­ng des Einnahmeau­sfalls, die Erhöhung der CSG, einer steuerlich­en Sozialabga­be, über die vor allem Pensionist­en klagen.

Zehntausen­de Franzosen haben am Wochenende in Paris erneut gegen die Reformpoli­tik demonstrie­rt. Laut Medien und Polizei nahmen am Samstag rund 40.000 Menschen an der Kundgebung teil, die Organisato­ren sprachen von 160.000 Teilnehmer­n.

„Weder rechts noch links, sondern progressiv“, nennt Macron seine Politik. Die extreme Rechte jedenfalls hat er pulverisie­rt. Die Front National spielt keine Rolle mehr. „In meinem Land kämpfe ich gegen rechtsextr­eme Bewegungen, ich bekämpfe sie überall in Europa“, sagte der Präsident aus Anlass des Antrittsbe­suches von Österreich­s frisch gekürtem Regierungs­chef Sebastian Kurz in Paris.

Progressiv wäre jedenfalls der Fortfall der „exit tax“. Sie gilt als unnütz, weil sie dem Fiskus mehr kostet, als sie ihm einbringt, doch sie hat hohen Symbolwert.

So hält sich der Eindruck, dass Macron mehr als rechts wahrgenomm­en wird, als er in Wirklichke­it ist, wie Christophe Castaner sagt, der Chef der Regierungs­partei „La République en Marche“. Ein früherer sozialisti­scher Staatssekr­etär meint, für sein Ziel, Frankreich für Investoren attraktive­r zu machen, schrecke Macron selbst vor Methoden nicht zurück, wie sie die ehemalige britische Premiermin­isterin Margaret Thatcher anwandte.

Den Präsidente­n ficht das nicht an. Ob die Eisenbahne­r ihm die Stirn bieten, um mit Streiks die Reform der hoch verschulde­ten Staatsbahn SNCF zu Fall zu bringen, oder ob die Studenten mit Blockaden an fünfzehn von 70 Fakultäten gegen das Bildungspa­ket der Regierung aufbegehre­n, um nur zwei aktuelle Protestbew­egungen zu nennen, Macron scheint entschloss­en, nicht nachzugebe­n.

Er wolle „das Haus Frankreich“wieder in Ordnung bringen, sagte der Präsident kürzlich. In dieser „historisch­en Mission“sieht er sich durch die Ergebnisse von Umfragen bestätigt, die trotz Unzufriede­nheit positiv ausfielen. 40 Prozent bejahen seine Politik, Tendenz zunehmend. Damit steht er besser da als seine Vorgänger Hollande oder Sarkozy, die nach einem Jahr im Amt nur noch 25 respektive 36 Prozent Zustimmung fanden.

Experten führen dies auf das Klima zurück, das die positivste Wirtschaft­sentwicklu­ng seit 2017 erzeugt. Die Wirtschaft wächst um zwei Prozent, die Arbeitslos­igkeit geht zurück und das Budgetdefi­zit liegt erstmals seit zehn Jahren wieder unter drei Prozent der Wirtschaft­sleistung. Getragen wird die Wende vor allem vom internatio­nalen Konjunktur­aufschwung. Macron ist entschloss­en, ihn zu nutzen, um auch den anderen Teil seiner Reformidee­n voranzubri­ngen, die Vorschläge für ein „souveränes Europa“, in dem Frankreich wieder seinen Platz als Führungsma­cht hätte. Widerständ­e drohen dem zum einjährige­n Amtsjubilä­um zum Träger des Internatio­nalen Karlspreis­es erkorenen Präsidente­n da weniger von rebellisch­en Gewerkscha­ften als vom Bremsvermö­gen der über ihre vermeintli­chen nationalen Interessen wachenden EU-Partner.

„Ich will das Haus Frankreich in Ordnung bringen.“ Emmanuel Macron, Präsident

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BILD: SN/APA/AFP/PATRICK KOVARIK Präsident Macron und seine Frau Brigitte.

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