Haare machen stark, Liebe schwach
„Samson et Dalila“von Camille Saint-Saëns in Starbesetzung: In der Wiener Staatsoper inszenierte erstmals Alexandra Liedtke, mit Elīna Garanča und Roberto Alagna fanden sich Publikumslieblinge mit großen Stimmen.
WIEN. Unbesiegbar hätte Samson sein können dank seiner göttlichen Mission und dann passiert ihm Ähnliches wie dem deutschen Helden-Kollegen Siegfried: Er plaudert, weil Liebe dumm macht, seine Schwachstelle aus. Das ungeschnittene Haupthaar ist es, das ihm übermenschliche Kräfte sichert. Ansonsten haben der biblische Samson und der meuchlings erlegte mythologische Siegfried wenig miteinander zu tun, doch beide brauchen einen gestandenen Heldentenor, um einen packenden Opernabend zu garantieren.
Am Samstag hatte „Samson et Dalila“von Camille Saint-Saëns Premiere in der Wiener Staatsoper, und schon im Laufe des Abends war abzusehen, dass das Ganze nicht gut ausgehen wird – weder für Samson noch für die Regisseurin Alexandra Liedtke, die im Verein mit ihrem Bühnenbildner Raimund Orfeo Voigt auf fragwürdige Ideen gekommen war.
Es regnete Buhs, der positive Klang der öffentlichen Leidenschaft ergoss sich dagegen zuletzt jubelnd über zwei Rollendebütanten. Sowohl Elīna Garanča als auch Roberto Alagna in den Titelrollen haben sich damit erfolgreich Neuland erobert.
In Wien ist es eine Weile her, dass „Samson et Dalila“gezeigt wurde, unter anderem mit Plácido Domingo und Agnes Baltsa, Götz Friedrich schnitt 1990 als Regisseur nicht sonderlich gut ab. Ist es also besonders schwierig, das biblische Epos überzeugend auf die Bühne zu bringen?
Alexandra Liedtke vermied immerhin, „Aktualisierungen“drüberzustülpen. Der Volksaufstand der von den Philistern unterdrückten Hebräer, der Widerstandskämpfer Samson, der zuletzt als Selbstmordattentäter seine Quäler mit in den Tod reißt – die Regisseurin suchte andere Wege, allerdings ohne ein Patentrezept zu finden. Die Suche nach den emotionalen Facetten fand in kleinen Gesten ihren Ausdruck. Wenn Samson, seiner Haarpracht beraubt und geblendet, als Partygag einer triumphierenden Philistergesellschaft verhöhnt wird, schiebt Dalila dem fast Verdurstenden heimlich die Schüssel mit Wasser zu. Ein Liebesdienst? Immerhin hat die Frau heimtückischen Verrat am Helden begangen.
Dass die Verführungsszene im Badezimmer stattfindet und es obendrein noch heftig reinregnet, ist eine der abwegigen Regieideen, dass Dalila und der Oberpriester in einem Schrank ihre Verschwörung treffen, sperrt einen Teil der Zuseher aus. Mithilfe eines mutigen Stuntmans wird zuletzt beim Bacchanal ein alles vernichtender Feuerzauber in Szene gesetzt.
Camille Saint-Saëns hat eine Mischform aus Chororatorium – ausgezeichnet der Staatsopernchor – und mit wunderbaren Melodien angereichertem Liebesdrama komponiert. Dass Elīna Garanča mit der Arie „Mon coeur s’ouvre à ta voix“all ihre Farbpracht aufleuchten, dass Roberto Alagna seinen Tenor heldisch strahlen lässt, zählt zu den Stärken der Produktion. Auch Carlos Álvarez als Oberpriester meldet sich nach Gesundheitsproblemen wieder in alter Stärke zurück. Dirigent Marco Armiliato und das Staatsopernorchester durchdrangen die raffinierte französische Partitur quasi akzentfrei und kultiviert.