Rossini erlaubt das Lachen über das Leben
Beim Minztee mit Cecilia Bartoli und ihrem Team erfährt man, worauf es ankommt, um die „italiana in Algeri“lebendig werden zu lassen.
„Mein Gehirn geht aus den Fugen, betäubt von all den Verwicklungen, mein Kopf ist ein Glöckchen, das immer nur Din-din läutet, in meinem Kopf schlägt ein großer Hammer und macht Tak-ta. Ich fühle mich wie eine gerupfte Krähe, kra-kra, wie Kanonendonner macht es in meinem Kopf bumbum“: So singen die sieben Protagonisten in Rossinis Buffa „L’italiana in Algeri“in der Stretta des ersten Finales – miteinander im Durcheinander. Es ist ein zum Furioso gesteigerter Aktschluss, wo am Ende niemand mehr erkennen kann, ob hinter den Lautungen noch Text oder gar Sinn steckt. Was funktioniert (und wirkt) ist die pure Rossini-Motorik, die wie ein Sog unwiderstehlich mitreißt.
Man könnte es die treibende Kraft des Nichts nennen, die sich narkotisierend auswirkt. Nicht die logisch entwickelte Handlung ist es, die zählt, sondern die Situationen, aus denen sozusagen Musik um ihrer selbst willen entsteht und immer wirbeliger in sich kreist.
Die Handlung der Buffa, die der 21-Jährige drei Jahre vor seinem nach wie vor beliebtesten Werk, dem „Barbier von Sevilla“, für das Teatro San Benedetto in Venedig schrieb, ist denn auch rasch skizziert: Mustafà, der Bey von Algier, ist seiner angestammten Frau überdrüssig und sucht ein neues Liebesabenteuer. In Gestalt von Isabella bekommt er aber eine selbstbewusste Italienerin in den orientalischen Haushalt. Sie selbst ist auf der Suche nach ihrem Geliebten Lindoro, nicht wissend, dass er der Lieblingssklave Mustafàs ist, den dieser auf Kosten der Neuen mit seiner Ex-Frau nach Italien abschieben will. Nach allerlei Verwirrungen und Maskierungen wird der eitle Gockel natürlich düpiert.
„Dummer“, einfältiger, sexbesessener Orient, raffinierter, durchtriebener Okzident? Man könnte mit dieser – in aktuellster Sichtweise durchaus problematischen – Oper ganz leicht Klischees ausstellen. Was das Regieduo Moshe Leiser und Patrice Caurier für Cecilia Bartolis Pfingstfestspiel-Premiere 2018 natürlich nicht im Geringsten im Sinn haben. „Wir zeigen nicht die Gegensätze, den Clash der Kulturen, sondern Parallelen und Gemeinsamkeiten. Wir bewahren jeder einzelnen Figur ihre Würde, weil keine Kultur über die andere erhaben ist“, erzählen sie vor einer Probe im Bühnenbild, stilecht bei Minztee und orientalischen Schleckereien mit Prinzipalin Cecilia Bartoli, die als Isabella wieder eine neue Rolle in ihr Repertoire aufnimmt.
Isabella: Das ist eine reife Frau, die zwar ein Abenteuer sucht, aber durchaus selbstbewusst und reflektiert agiert, in keinem Moment leichtfertig oder unerfahren. Sie sei eine freie Frau und fordere Respekt ein, betont Cecilia Bartoli. Deswegen spielt die Oper bei Leiser/Caurier auch nicht in einem FantasieOrient, sondern in „Algier heute“, aber mit den „orientalischen“Elementen des Fabulierens. Denn eine Geschichte gut erzählen, wie sie auch die Musik erzählt: Das sei das Um und Auf von Regie.
„Wir dürfen die Differenzen der Kulturen nicht beiseitewischen oder ignorieren“, meinen die Szeniker. „Aber wir müssen sie auf heitere Art ernst nehmen.“Denn Rossinis Kunst erlaube das Lachen über das Leben, er sei ein Komödiant durch und durch – „und wir müssen die Menschen zum Lachen bringen über allgemein menschliche Befindlichkeiten. Wir lachen nicht über eine Kultur, sondern wir teilen das Lachen mit allen Kulturen“, bringen es die Regisseure auf den Punkt.
Die Musik Rossinis trage eine solche Ansicht gerade deswegen so passgenau mit, weil sie selbst keine „Meinung“ausbildet, sondern nur „Struktur“sei, gleichsam Folie, nicht Psychologie. Das erlaube ein freies Spiel der Kräfte – und schaffe die Freiheit des musikalischen Spielraums.
Hier hakt der Dirigent ein: JeanChristophe Spinosi, der sein Ensemble Matheus dirigiert, vergleicht Rossinis Musik mit dem Rock ’n’ Roll der 1950er-Jahre. Alles ist in Bewegung, wirbelt, vibriert. Der Rhythmus treibt voran, alles ist mit mathematischer Präzision durchkonstruiert. Aber wie die Arithmetik der kompositorischen Form mit den Emotionen des realen Lebens(-gefühls) korreliert: Das sei genau das Paradoxon.
Strukturell sei es entscheidend, betont Spinosi, keine Striche zu machen, besonders nicht in den vielen Wiederholungen von Worten oder Phrasen, die einen exakten dramaturgischen Sinn haben. Alles genüge bei Rossini dem theatralischen Moment, dem Coup de théâtre, ausgerichtet auf die jeweilige Situation. Aus dieser Haltung heraus müsse man Rossini auch inszenieren.
Aber die Musiker dürfen selbst nicht „am Notentext kleben“, sondern sollen aus der Situation heraus klangsprachlich agieren. Die Sänger sind keine Zwitschermaschinen oder Koloraturartisten, sondern singende Menschen. Aus dem Duktus und Klang des Parlando, des „gesprochen“gesungenen Wortes, resultiere nicht nur in den Rezitativen, sondern auch in den Arien und Ensembles der Gesang. Wenn man das beachte, sagt Spinosi, bekomme man „noch mehr Freude, an der Sprache Rossinis zu arbeiten und nicht nur Traditionen zu wiederholen, sondern Neues zu entdecken“.
Aus diesem Blickwinkel sieht der Dirigent auch den Vorteil der Verwendung historischer Instrumente. „Heute haben wir oft das Problem, dass wir durch moderne Instrumente gewohnt sind, standardisiert zu musizieren. Aber diese Egalität ist schädlich, Musik basiert nicht auf Codes wie aus einem Musterbuch, die man nur abzurufen braucht“, argumentiert Spinosi.
Der „Originalklang“ist wesentlich agiler, beweglicher, farbenreicher, rustikaler. „Die alten Instrumente haben eine ganz andere Qualität, einen sprechenden Klang zu erzeugen – der sich immer wieder auch in kleinen, feinen Nuancen reibt, also ,ungleich‘ ist und dadurch eine ganz eigene Art von Lebendigkeit erzeugt: von den Farben bis zur feinen Diskretion des Ausdrucks. Dadurch entsteht eine Wirklichkeit des Lebendigen, der menschlichen Leidenschaften und Emotionen“: ein Credo, in das alle Beteiligten einstimmen – und sich wieder an die gemeinsame Arbeit machen. Denn das ist für alle das feine Salzburger „Pfingstwunder“– gemeinsam Neues zu entdecken, egal ob erfahrener Belcantospezialist oder Rollendebütant.
„Wir teilen das Lachen mit allen Kulturen.“Moshe Leiser, Regisseur