1956 Sailer – das erste Sportidol
Das Jahr 1955 bescherte Österreich die Freiheit, Olympia 1956 mit Toni Sailer seinen ersten Sportstar: Persönliche Erinnerungen an Österreichs ersten Sporthelden, dem das Land aber bald viel zu klein war.
SALZBURG. Es gibt Sieger und es gibt Sportstars und dann gibt es in der Welt des Sports noch eine dritte Kategorie: Helden. Doch dazu steigt nur jemand auf, der abseits aller sportlichen Erfolge den Lebensnerv einer Generation trifft. Wenn man das als Definition eines Sporthelden gelten lässt, dann hat Österreich nicht viele Sporthelden gehabt, aber mit Sicherheit einen, der alle anderen überstrahlt hat: Toni Sailer.
Das Jahr 1955 brachte Österreich die lang ersehnte Freiheit, jetzt war Platz für einen neuen Volkshelden, einen, der nichts mit der bleiernen Kriegszeit zu tun hatte. Für diese Rolle war Sailer wie geschaffen: Der junge Bursch aus Kitzbühel stieg schon im Winter 1955 wie aus dem Nichts zum Seriensieger auf – der Abfahrts-Triumph auf dem Lauberhorn war sein erster großer Erfolg, mit fast vier Sekunden Vorsprung auf seinen Kitzbüheler Clubkollegen Anderl Molterer.
Die Olympischen Spiele 1956 in Cortina sollten das Glanzstück des damals erst 20Jährigen werden: Er gewann als erster Skiläufer überhaupt alle alpinen Bewerbe, nämlich Abfahrt (mit dreieinhalb Sekunden Vorsprung), Slalom (mit vier Sekunden) und Riesentorlauf (mit über sechs Sekunden Vorsprung) und die daraus errechnete alpine Kombination mit der Traumnote 0 – die Kombination zählte nur als Weltmeistertitel, so verließ Sailer Cortina als dreifacher Olympiasieger und vierfacher Weltmeister. Der damalige SN-Sportchef Kurt Bernegger, eher ein distanzierter Beobachter der Szene, schrieb geradezu hymnische Worte: „Die Leistung des 20-jährigen Spenglergesellen ist so einmalig, dass sie künftighin nur noch eingestellt, nie mehr aber überboten werden kann!“
Der „Schwarze Blitz aus Kitz“, ein Spitzname, den er auch wegen seiner dichten schwarzen Haarpracht erhalten hatte, wiederholte dieses Kunststück beinahe 1958 bei der WM in Bad Gastein, er gewann Abfahrt, Riesentorlauf und Kombination, holte aber „nur“Silber im Slalom. Sailer war aber weniger ein Sportheld, er verkörperte vielmehr das, wonach sich viele im neuen Österreich gesehnt haben: Sailer war jung, erfolgreich, gut aussehend, fuhr im Stile eines Draufgängers und war mit der Aura eines Frauenhelden umgeben.
Doch schon nach der WM 1958 gab es erste Gerüchte um einen Rücktritt Sailers. Sailer war die Welt des Skisports zu klein geworden, er fühlte auch die Enge seiner Tiroler Heimat. Die Welt des Films hatte da eine ganz andere Faszination für ihn. 1959 dann der endgültige Schnitt: Mit nur 24 Jahren trat Sailer vom Rennsport zurück und zog für die nächsten neun Jahre nach Berlin, wo er eine Schauspielausbildung absolviert und zahlreiche Filme gedreht hat. Es wurden über 20 Filme und 18 Schallplatten („Am Fudschijama blüht kein Edelweiß“). Vor allem die ersten Filme wie „Ein Stück vom Himmel“, „Der schwarze Blitz“oder „Zwölf Mädchen und ein Mann“wurden zu Kassenschlagern.
Eine geradezu unglaubliche Popularität hatte Sailer jedoch in Japan erreicht – wegen seiner Filme, seiner sportlichen Erfolge und seiner Freundschaft mit dem japanischen Skistar Chiharu Igaya (er gewann Slalom-Silber in Cortina). Wie groß die Popularität war, durfte der Autor dieser Zeilen selbst erfahren: Vor den Olympischen Winterspielen 1998 in Nagano war ich zusammen mit Toni Sailer, der zu der Zeit als SN-Kolumnist gewirkt hat, noch drei Tage in Tokio. Eines Tages nahm er mich zu einem Empfang des österreichischen Botschafters, der kaum zehn Minuten von unserem Hotel entfernt stattgefunden hat, mit. Sailer bestand dennoch auf einem Taxi – „sonst kommen wir dort nie an, weil mich so viele Leute kennen“. Ich dachte erst an einen seiner versteckten Witze, doch schon an der zweiten Kreuzung stieg ein Autofahrer aus und kniete vor Sailer nieder – ich traute meinen Augen nicht. Den letzten Weg fuhren wir tatsächlich mit dem Taxi.
Japan war emotional Sailers zweite Heimat, er war 150 Mal in dem Land, in dem sogar Skigebiete seinen Namen tragen. In seiner eigenen Heimat fühlte er sich dagegen mit zunehmendem Alter immer weniger geschätzt. „Toni ist in Kitzbühel nicht das, was Kitzbühel immer für Toni war“, sollte seine Gattin Hedwig (seine zweite Frau) später einmal klagen. Das war auch der Grund, warum er mit ihr nach Salzburg gezogen ist, wo er sich in Nonntal eine Wohnung gekauft hat und 2009 nach einer jahrelangen Krebserkrankung gestorben ist. Sein größter Wunsch ging nicht in Erfüllung: Er wollte die Olympischen Winterspiele, die sein Leben so nachhaltig verändert haben, 2006 nach Kitzbühel und Salzburg bringen. Das wurde politisch hintertrieben, stattdessen Klagenfurt ins Rennen geschickt.
Sailer verfolgte aber auch zeit seines Lebens eine Geschichte, die erst heuer im Jänner wieder aufgekocht worden ist: Er soll als Sportdirektor des ÖSV (das war er von 1972 bis 1976) beim Weltcupfinale 1974 in Zakopane eine polnische Prostituierte vergewaltigt und misshandelt haben. Sailer wurde nie angeklagt und sprach von einer Falle, die ihm gestellt worden sei. Tatsächlich hat damals das Außenministerium für ihn massiv in Polen interveniert. Die ganze Geschichte war den meisten österreichischen Zeitungen im März 1974 gerade einmal 20 bis 30 Zeilen als Meldung wert – die Ikone Sailer anzupatzen war undenkbar.
Toni Sailer war ein umtriebiger und vielschichtiger, oftmals auch sehr widersprüchlicher Charakter. Ganz sicher war er aber auch, was auf seinem Grabstein in Kitzbühel steht: „Berühmt, beliebt, bescheiden.“