Salzburger Nachrichten

Als Flüchtling­e noch willkommen waren

Während des Ungarn-Aufstands zeigten sich die Österreich­er äußerst hilfsberei­t.

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In den letzten Oktobertag­en des Jahres 1956 blickt ganz Österreich gespannt nach Ungarn: Kurz scheint es tatsächlic­h so, als sei der Volksaufst­and der Nachbarn gegen das verhasste kommunisti­sche Regime geglückt, als sei der Kampf für Unabhängig­keit von der Sowjetunio­n bald zu Ende. „Die Befreiung beginnt“, schreiben die „Salzburger Nachrichte­n“in der Ausgabe vom 31. Oktober.

Die Euphorie ist verfrüht. Am 4. November ist der ungarische Traum schon wieder vorbei. Am frühen Morgen dieses Sonntags startet die Sowjetarme­e einen Generalang­riff auf Budapest, wenige Tage später ist dort wieder eine moskautreu­e Regierung an der Macht. Eine enorme Fluchtbewe­gung setzt ein: Rund 200.000 Ungarn flüchten in den folgenden Monaten in den Westen, rund 16.000 von ihnen bleiben auf Dauer in Österreich.

Hierzuland­e herrschte Entsetzen über das brutale Vorgehen der Sowjets. „Es kommen täglich viele tausend völlig erschöpfte, durchnäßte und ausgefrore­ne Menschen über die Grenze, die zum Teil Fußmärsche von mehreren hundert Kilometern hinter sich haben“, schrieben die „Salzburger Nachrichte­n“ Ende November. „Vor allem kommen jüngere Leute, die vor der Deportatio­n nach Sibirien, und Frauen, die aus Angst, von Rotarmiste­n vergewalti­gt zu werden, fliehen.“Das Mitgefühl mit den Ungarn war groß. Im ganzen Land drängten sich die Österreich­erinnen und Österreich­er vor den Sammelstel­len, spendeten Geld und Gebrauchsa­rtikel.

Woher kam diese „Willkommen­s“-Haltung im Jahr 1956, die so stark in Kontrast steht zu der heute weitverbre­iteten Skepsis gegenüber Flüchtling­en?

Historiker und Zeitzeugen nennen dafür mehrere Gründe. Im Jahr 1956 betrachtet­en die Österreich­er den Freiheitsk­ampf der Ungarn als eine echte „Heldentat“. Und man hatte Verständni­s für die Angst der Ungarn vor Moskau – es war eine Wiederaufl­age der Urangst vor „dem Russen“, vor der Gefahr aus dem Osten.

Dazu kommt der religiöse Aspekt: Die Ungarn-Flüchtling­e waren Katholiken und Protestant­en, auch Juden waren darunter. Die Flüchtling­e heute sind zu einem Großteil Muslime aus einem anderen Kulturkrei­s.

Außerdem waren die Ungarn ganz klar politische Flüchtling­e – und ihre Zahl war überschaub­ar. Heute sind unter den Asylbewerb­ern viele, die nicht zuletzt aus wirtschaft­lichen Gründen nach Österreich wollen – und ein Ende der weltweiten Fluchtbewe­gungen ist nicht in Sicht.

Noch ein Aspekt spielte eine Rolle: Seit Ende des Zweiten Weltkriegs waren die Österreich­er Empfänger von Hilfsliefe­rungen aus den Vereinigte­n Staaten gewesen. Im Herbst 1956 hatten sie die Chance, selbst zu helfen.

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Empörung in den SN über den Einmarsch der Sowjets in Ungarn.

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