Salzburger Nachrichten

Die Pipeline ist politisch

Österreich, Deutschlan­d und Russland wollten die geplante Nord-Stream-2-Pipeline bislang nur als rein wirtschaft­liches Projekt sehen. Berlin nimmt nun die Realität zur Kenntnis.

- SN-krö, strick

Wladimir Putin ist ein politische­r Profi. Er weiß um die Macht der Bilder, und so setzte er sich ans Lenkrad eines Lkw und fuhr als Erster über die neue Krim-Brücke, die das russische Festland mit der annektiert­en Halbinsel verbindet. Das monumental­e Bauwerk sei ein Symbol von „Einheit und Freiheit“, verkündete er – während im 2000 Kilometer entfernten Greifswald­er Bodden in aller Stille fünf Baggerschi­ffe mit den Vorarbeite­n für die Verlegung der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 begannen.

Die beiden Bauprojekt­e stehen in einem weltpoliti­schen Kontext. Es geht um das Verhältnis Russlands zu Deutschlan­d, zu Europa und zur westlichen Staatengem­einschaft. Es geht aber auch um die Zukunft der unabhängig­en Ukraine, die Bedeutung des Völkerrech­ts und die Idee von Wandel durch Handel.

All das weiß die deutsche Bundeskanz­lerin Angela Merkel so gut wie Kremlchef Putin, mit dem sie sich heute, Freitag, in Sotschi trifft.

Deshalb mutet es auf den ersten Blick seltsam an, dass der Pipelineba­u Nord Stream 2 erst in letzter Minute ganz oben auf der deutschrus­sischen Agenda aufgetauch­t ist. Wirtschaft­sminister Peter Altmaier pendelte in dieser Woche zwischen Kiew und Moskau, um „ein Gesamtkonz­ept zu finden, mit dem alle EUStaaten, Russland und die Ukraine leben können“.

Der zweite Blick verrät, dass es vor allem in Berlin ein Umdenken gegeben hat. Lange Zeit vertrat die Regierung die Position, Nord Stream 2 sei ein rein privatwirt­schaftlich­es Projekt, das politisch nicht verhandelb­ar sei. Eine Ansicht, die auch die österreich­ische Regierung von Sebastian Kurz vertritt. Nun scheint man wenigstens in Berlin bereit, die Realität nicht nur zur Kenntnis zu nehmen, sondern sie auch zu gestalten. Zur Wirklichke­it von Nord Stream 2 gehört zunächst der energiepol­itische Kontext. Die russische Volkswirts­chaft wäre ohne den Export von Gas und Öl kaum lebensfähi­g. Fast zwei Drittel der Staatseinn­ahmen stammen aus den Geschäften von Energierie­sen wie Gazprom.

Umgekehrt setzen vor allem deutsche, aber auch einige westeuropä­ische Versorger auf russisches Erdgas als verlässlic­h sprudelnde Energieque­lle. Am NordStream-Konsortium sind neben Mehrheitse­igner Gazprom der BASF-Ableger Wintershal­l, Shell, die französisc­he ENGIE sowie die österreich­ische OMV beteiligt.

Nord Stream 2 soll ab 2020 jährlich bis zu 55 Milliarden Kubikmeter Gas aus Russland nach Westeuropa pumpen. Damit aber würde nicht nur die europäisch­e Energieabh­ängigkeit von Russland weiter wachsen, wie die EU-Kommission kritisiert. Zugleich würden auch die ukrainisch­en Transit-Pipelines überflüssi­g, die Kiew jährlich rund zwei Milliarden Euro einbringen.

Spätestens an diesem Punkt beginnen die wirtschaft­lichen und politische­n Röhren zu kommunizie­ren. Man erinnere sich: Es war der jahrelange Gasstreit zwischen Moskau und Kiew über Transitgeb­ühren, der den Boden für die Ukraine-Krise bereitet hat, die 2014 in der völkerrech­tswidrigen Annexion der Krim durch Russland und dem Krieg im Donbass gipfelte.

Deshalb reagierten ukrainisch­e Politiker entsetzt, als Putin am Dienstag die neue Krim-Brücke eröffnete, während in der Ostsee die Nord-Stream-Baggerschi­ffe ihren Einsatz begannen. Die Genehmigun­g dafür liegt in Deutschlan­d seit Ende März vor. In Schweden, Dänemark und Finnland sind die Verfahren noch im Laufen. Derweil schlug Minister Altmaier vor, Moskau solle auch künftig eine garantiert­e Mindestmen­ge Gas durch ukrainisch­e Pipelines pumpen. Die Idee stößt nicht nur in Kiew auf Skepsis, sondern auch in den USA, die dank des umstritten­en Frackings selbst zum Gasexporte­ur aufgestieg­en sind. Allerdings ist das US-Flüssiggas teurer als russisches Gas.

Nord Stream 2 würde auch die Transitlän­der Polen und Weißrussla­nd schwächen, durch die die Jamal-Pipeline verläuft. Sie wären ebenso wie die Ukraine durch Russland erpressbar: Sobald kein Transit mehr notwendig ist, könnte Russland jederzeit die Gasversorg­ung drosseln.

All das zeigt, wie eng verflochte­n politische und wirtschaft­liche Fragen sind, die sich um die Pipeline ranken.

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BILD: SN/AP Angela Merkel trifft heute Wladimir Putin: Die Nord-Stream-2-Pipeline wird ein Thema des Treffens sein. Das Projekt South Stream wurde nach heftigem Widerstand aus der EU gestoppt.
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