Bergbaustadt als Kulturmetropole
Guanajuato. Mexikos Bergbaustadt hat sich zur lebensfrohen Kulturmetropole gemausert.
Guanajuato? Selbst erfahrene Mexiko-Reisende reagieren perplex, wenn sie nach dem Zungenbrecher gefragt werden. Dabei ist diese Stadt, dank ihrer Silberminen einst eine der reichsten und größten ganz Südamerikas, schon lange UNESCO-Weltkulturerbe, wird darüber hinaus in allen Reiseführern als sehenswerte Destination empfohlen. Wieso dann ihre relative Unbekanntheit? Vielleicht liegt es an ihrem schwierigen und mühsam zu merkenden Namen, der eine spanische Verballhornung des Náhuatl-Wortes Quanaxhuata ist.
Zu erreichen ist Guanajuato jedenfalls nicht besonders schwer: Es liegt zwar vier Stunden von der Hauptstadt entfernt, aber da das mexikanische Bussystem möglicherweise eines der besten der Welt ist, mit Terminals, die nach dem Vorbild von Flughäfen gestaltet sind, sowie komfortablen und sicheren Bussen mit Wi-Fi und Fernsehen, bedeutet das entgegen allen Befürchtungen keine größere Anstrengung.
Ankömmlinge werden von Fremdenführer umgehend auf einen großen Hügel geschleppt, auf dem sich eine riesige, klobige, grobschlächtige Statue des „proletarischen“Helden Pipila erhebt, angeblich Anführer eines blutigen Bergarbeiterstreiks. Sträuben ist zwecklos, doch der Platz neben dem faschistisch-stalinistischen Schandmal aus dem Jahr 1939 erweist sich schlussendlich als Glücksgriff: Von hier aus eröffnet sich ein wahrhaft unvergessliches Panorama. Die so schwierig auszusprechende, auf 2000 Meter Höhe in ein enges Bergtal geschmiegte Stadt breitet sich in ihrer ganzen atemberaubenden Pracht – und nahezu psychedelisch anmutenden Farbenpracht – aus. Ein Augenschmaus für Europäer. Und es wird noch besser. Guanajuato ist von seiner Atmosphäre her so farbig, lebendig und freudenspendend wie seine Häuser. Der Grund dafür liegt nicht zuletzt in der großen Universität. Denn die rund 25.000 jungen Leute sorgen schon dafür, dass hier keine langweilige Museumsstimmung aufkommt ...
Ein guter Weg, den Tag zu beginnen, ist, auf der Plaza de La Paz in einem der Straßencafés ein Frühstück zu sich zu nehmen. Das ist in Mexiko ja eher auf der deftigen und pikanten Seite: verschiedenste Arten von Spiegeleiern mit lustigen Namen wie „huevos divorciados“(geschiedene Eier), Bohnenbrei, Tortillas oder Nachos mit Käse.
Nächste Station: der Jardin de la Unión mit seinen im französischen Stil zurechtgestutzten Lorbeerbäumen, seinen unzähligen Restaurants und den ebenso unzähligen Mariachi-Kapellen.
Weitere Sehenswürdigkeiten sind natürlich die Alhóndiga de Granaditas, ein ungeheuer mächtiges, imposantes Gebäude, das früher als Kornkammer diente und jetzt in ein hervorragendes Museum zur mexikanischen Geschichte umfunktioniert wurde. Für den kleinen Hunger zwischendurch bieten Straßenhändler davor köstlich schmeckende, knusprige, scharfe kleine Heuschrecken, „Chapulines“, an.
Die Stärkung tut gut, denn in derselben Gasse warten noch zwei sehr interessante Museen: das Museo del Pueblo in einem an sich schon sehenswerten Kolonialgebäude und das Museo Diego Rivera im Geburtshaus der mexikanischen Malerlegende, ehe man sich verlegen und klein fühlt angesichts der gigantischen Freitreppe zur Jesuitenuniversität und der mächtigen Jesuitenkirche.
Eine der Besonderheiten Guanajuatos ist, dass in ihr Miguel de Cervantes eine große, völlig unerwartete Rolle spielt. Durch die Irrnisse und Wirrnisse des Spanischen Bürgerkriegs fand hier ein spanischer Cervantes-Gelehrter Zuflucht, dessen umfangreicher Nachlass nunmehr im Museo Iconográfico del Quijote zu besichtigen ist. Ja, in der Stadt wird sogar behauptet, das Grab des edlen Ritters (der ja bekanntlich nie existiert hat) befinde sich in ihren Mauern. In dem Grab ruht jedoch – subtiler Einfall! – lediglich eine Kopie des weltberühmten Romans.
Cervantino nennt sich daher auch das zweiwöchige internationale Festival, das alljährlich im Oktober stattfindet und insgesamt einen guten Zeitpunkt für eine Reise in die Silberstadt darstellt, denn da quillt das Leben wirklich aus allen Poren und nahezu überall – im wunderschönen Teatro Juárez, aber auch in den erwähnten Kirchen sowie auf den Straßen – finden Hunderte Theater- und Musikperformances statt. 2018 werden als Gastland Indien sowie der mexikanische Teilstaat Aguascalientes im Mittelpunkt stehen ...
Doch ehe es so weit ist, lockt vor der Abreise noch ein kurzer Ausflug zu einer der ehemaligen Silberminen, die seit ihrer Stilllegung einen fast idyllischen Reiz ausstrahlen.
Danach ein letzter Abstecher in das – kaum bekannte – in einem umgebauten Wasserspeicher eingerichtete Hausmuseum des Malerehepaars Olga Costa und José Chávez Morado. Ein magischer Ort mit großartigen Gemälden und einem bezaubernden Garten, in dem in zwei großen Blumentöpfen aus der Asche der beiden Künstler unbändigst immergrüne Zweige sprießen. Ein tröstlicher Anblick zum Abschied von Guanajuato.