Nur noch eine Krankenkasse für sieben Millionen Österreicher
Die Gebietskrankenkassen werden zu Landesstellen mit einer gewissen Budgetautonomie und regionalen Spielräumen. Die Vorrangstellung der Gewerkschaften wird deutlich verringert.
Die Koalitionsparteien haben sich am Pfingstwochenende auf die Reform der Sozialversicherung geeinigt. Aus derzeit 21 Sozialversicherungen sollen demnach vier bis fünf werden. Dazu werden die neun Gebietskrankenkassen zu einer „Österreichischen Gesundheitskasse“(ÖGK) mit neun Landesstellen verschmolzen. Die fünf noch bestehenden Betriebskassen können mitmachen. Der derzeit bestimmende Einfluss der Gewerkschaften in den Kassen dürfte deutlich beschnitten und die Macht der Wirtschaftsvertreter ausgebaut werden. Derzeit dominieren in den meisten Gebietskrankenkassen die Gewerkschaften. Der künftige Verwaltungsrat soll dagegen 50:50 besetzt werden.
Auch die Sozialversicherungen für Bauern und Unternehmer werden zusammengelegt, die Beamtenversicherung soll die Eisenbahner übernehmen. Geplant sind also drei getrennte Kassen für Arbeitnehmer, öffentlichen Dienst und Selbstständige. Bleiben sollen die Pensionsversicherungsanstalt (PVA) und allenfalls die Unfallversicherung (AUVA).
Die „Österreichische Gesundheitskasse“wird mit gut sieben Millionen Versicherten den Großteil der gesamten Krankenversicherung in Österreich verwalten: 14,5 von insgesamt 18,5 Milliarden Euro Beitragseinnahmen. Die neun Landesstellen sollen eine gewisse Budgetautonomie und einen regionalen Spielraum behalten.
Am heutigen Dienstag wollen Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Vizekanzler HeinzChristian Strache (FPÖ) die Eckpunkte der Sozialversicherungsreform offiziell vorstellen. Wie sich schon am Wochenende abzeichnete, dürfte die Zusammenlegung der Krankenkassen zu einer Machtverschiebung führen. Bislang stellt die Arbeiterkammer vier Fünftel der Mitglieder in Vorstand und Generalversammlung der Länderkassen. Nur in der Kontrollversammlung ist es umgekehrt. Dort hat die Wirtschaftskammer die Mehrheit.
Künftig soll es nur noch ein einziges Gremium geben, den Verwaltungsrat. Dort sollen sich Arbeiter- und Wirtschafts- kammer die Mandate 50:50 teilen. Damit wird der Einfluss der roten (bzw. in Tirol und Vorarlberg der schwarzen) Gewerkschafter massiv reduziert, jener der schwarzen Unternehmervertreter ausgebaut. Angesichts der Stimmverhältnisse in den Arbeiter- und Wirtschaftskammern könnte das in den meisten Ländern schwarz-blaue Mehrheiten an Kassenspitzen ergeben.
Noch völlig ungeklärt ist das Schicksal der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt (AUVA). Sie wurde ursprünglich für Arbeitsunfälle errichtet und wird aus Unternehmerbeiträgen finanziert. Weil die Regierung die Wirtschaft um 500 Mill. Euro entlasten will, fordert sie von der AUVA Einsparungen in demselben Ausmaß und droht andernfalls mit ihrer Auflösung. Die AUVA will daher „versicherungsfremde Leistungen“wie Entgeltfortzahlung nach Krankheit oder Unfall und Behandlung von Freizeitunfällen in Unfallspitälern nicht mehr bezahlen. So will sie ihre Kosten um 400 Mill. Euro senken. Bezahlen müssten dann die Steuerzahler oder andere Sozialversicherungen.
Die Regierung will durch die Kassenfusionen bis 2023 eine Milliarde Euro einsparen, teils aus dem natürlichen Abgang von Verwaltungspersonal, teils aus der „Harmonisierung“von Leistungen. Das könnte heißen, dass „großzügigere“Kassen ihre Leistungen für Versicherte reduzieren müssen. Jedoch sieht das Regierungsprogramm die Beibehaltung des Leistungsniveaus vor.