Eine Bühne für zwei Aufführungen
Ob mit Kamel durch Algier oder als Straßensänger durch Lima: Die „Bühne“der Salzburger Pfingstfestspiele hatte heuer auch unvorhergesehen Überraschendes zu bieten.
Ob mit Kamel durch Algier oder als Straßensänger durch Lima: Die „Bühne“der Salzburger Pfingstfestspiele hatte heuer auch unvorhergesehen Überraschendes zu bieten.
Als am Samstag der Vorhang im „Haus für Mozart“zur Seite ging, sah man ein bekanntes Bühnenbild – jenes vom Vortag. Nur dass jetzt nicht Rossinis „L’ Italiana in Algeri“gespielt wurde, sondern Offenbachs „La Périchole“. Aus der konzertanten Aufführung der romantischen Opéra-bouffe mit den blendend aufgelegten Musiciens du Louvre wurde nämlich kurzerhand eine „halb“-szenische Aktion, der Marc Minkowski den so eleganten wie zündenden Schwung gab.
Eigentlich war die überraschende Kombination so abwegig nicht. In beiden Werken geht es um ungefähr das Gleiche: Bei Rossini sucht der liebestolle Bey von Algier eine neue Frau, um seine alte loszuwerden. Die Italienerin Isabella aber ist ihm nicht so ohne Weiteres zu Diensten – und der düpierte Hahnrei muss sie letztlich freigeben für ihren wirklichen Geliebten Lindoro.
Bei Offenbach sucht der Vizekönig von Peru eine neue Mätresse, das Schicksal spielt ihm ein armes Straßensänger-Pärchen zu, das unter Einfluss von viel Alkohol zur Scheinehe bereit ist, damit Don Andrès de Ribeira auch „rechtmäßig“zu seinem Vergnügen kommt. Aber auch da hat einer die Rechnung ohne die wahre Liebe gemacht. Wobei auch die echten Liebhaber nur Schlappschwänze gegenüber starken Frauen sind ...
Das Publikum jedenfalls bekam zwei prächtige, gleichsam verwandt-gegenläufige Opernvorstellungen – als aberwitzige, absurde Komödienmaschinerien, in denen im ständigen Durcheinander alles und zugleich eigentlich nichts passiert. Rossini macht dieses Nichts mit kalkulierten Klangstrategien zum buffonesken Juwel. Und die Regisseure der Pfingstfestspielpremiere vom Freitag, Moshe Leiser und Patrice Caurier, nehmen die Komödienmotorik reibungslos in Betrieb: nicht mehr, nicht weniger – aber mit feinstem Vergnügen.
Christian Fenouillat hat mehrere aufwendige Bühnenbilder ohne pittoreske Orient-Fantastik gebastelt, die sich immer neu verschieben lassen, quasi Algier heute. Die Kostüme (Agostino Cavalca) zeigen einen West-Ost-Mix zwischen Kaftan und Jogginganzügen mit arabischen Glitzeraperçus. Im leichten Sommerkleid erscheint Isabella von Anfang an als neugierige, selbstbewusste Abenteurerin in fremdem Land: eine Rolle so recht nach dem Gusto der girrenden und gurrenden Prinzipalin Cecilia Bartoli, die sich hier gleichwohl nicht als Star-Protagonistin in Stellung bringt, sondern als Erste unter Gleichen, als brillant mit Kaskaden feiner Mezzosopranartistik aufwartende Ensemblespielerin agiert.
Alessandro Corbelli, ein mit allen Wassern gewaschener, erfahrener Rossini-Stilist par excellence, mit seinen 66 Jahren springlebendig, wandlungslustig als Erzkomödiant, ist als Taddeo die heimliche Hauptfigur des Abends. Bey Mustafa trägt seinen (falschen) Bauch proletarisch unterm Feinrippleiberl und in meist schlurfendem Gang so vor sich her, dass man nicht versteht, was diesen Typ so attraktiv macht. Luxuriös freilich ist die wendige Bassesfülle Peter Kálmáns.
Edgardo Rocha hat stimmlich alles, was ein Rossini-Tenor braucht: Leichtigkeit, Agilität, sich mühelos emporschraubende luftige Höhe. Aus den restlichen Partien sticht Rebeca Olvera als beiseitegeschobene Elvira durch anrührende Sopranexzellenz hervor.
An den Rossini-Klang, den das Ensemble Matheus erzeugt, muss man sich erst gewöhnen. Aber was Dirigent Jean-Christophe Spinosi da fabrizieren lässt, ist deutlich außer jeder mechanisch-motorischen Norm, mit der man derartige BuffaOpern sonst gerne abspult. Er setzt eigenwillige dynamische und klangfarbliche Akzente, riskiert Soli – Horn, Oboe, Flöte – mit mancherlei Entdeckerlust und abenteuerlichen Kombinationsmustern. Vielleicht wären die einzelnen, penibel bis pingelig ausgehorchten Elemente noch besser in einen dy- namischeren Fluss einzubinden, auch wirkt der Gesamtklang etwas klein, ja dürr bis knochig. Mehr Süffigkeit, mehr Kraft, schlicht: mehr Fleisch könnte es schon sein. Doch das klangsprachliche Modell, das Spinosi entwickelt, ist hochinteressant und verdient gespitzte Ohren.
Da steht Offenbach bei Marc Minkowski in anderem Saft – auch weil das Orchester hochgefahren ist und seine klangfarbliche Delikatesse animierend ausspielen kann. Der Spielwitz, nicht weniger absurd als bei Rossini, wird burlesk ausgekostet, das Idiom ist blendend eingestellt, das Sängerteam – mit Aude Extrémo als Périchole und Benjamin Bernheim als Piquillo an der Spitze – eine Ohrenweide, auch weil die Untertöne nicht unterschlagen werden. Mit Marionetten soll die tragikomische Buffa demnächst in Bordeaux „voll“szenisch zu erleben sein – auf denn also ins Offenbach-Jahr 2019, zu Ehren des 200. Geburtstags des „Mozart der ChampsÉlysées“.