Riad verhaftet Frauen
Das religiöse Establishment schlägt zurück. Vor der Aufhebung des Fahrverbots für Frauen wurden prominente Aktivistinnen festgenommen. Was ihnen vorgeworfen wird.
RIAD, LIMASSOL. Es sind schwerwiegende Vorwürfe, die gegen sieben in der vergangenen Woche verhaftete saudische Frauenrechtsaktivistinnen erhoben werden. Gemeinsam mit vier ebenfalls festgenommenen Männern sollen sie „eine Zelle gegründet und am Umsturz des Staates gearbeitet haben“. „Ausländische Kräfte“hätten die „Verschwörer“bei ihren Versuchen, die saudische Gesellschaft zu destabilisieren, unterstützt.
Unter den Verhafteten sind mit Loujain al Hathloul, Asisa al Jussef und Eman al Nafjan drei Aktivistinnen, die sich mit ihrem Kampf für mehr Frauenrechte einen Namen gemacht haben. Nicht zuletzt ihrem Einsatz ist es zu verdanken, dass der bereits als „Reformer“gefeierte saudische Kronprinz Mohammed bin Salman alias „MBS“im vergangenen Jahr die Aufhebung des Frauenfahrverbots in dem ultrakonservativen Wüstenkönigreich anordnete. Bereits im Juni sollen Frauen erstmals selbst lenken dürfen: ein für die Verhältnisse des Landes geradezu revolutionärer Fortschritt, der dem von MBS teilweise entmachteten religiösen Establishment offenbar nun doch zu weit geht.
Mit Begeisterung stürzten sich die Hardliner am Pfingstwochenende auf ein in den sozialen Medien veröffentlichtes „Fahndungsplakat“, auf dem die Fotos der verhafteten Frauen mit der Bildunterschrift „Verräterinnen“gezeigt werden. Die Verunglimpfung wurde mit Zehntausenden Likes ausgezeichnet. So mancher User verlangte, dass die angeblich mit ausländischen Botschaften kooperierenden Spioninnen jetzt „ihrer gerechten Strafe (durch das Schwert)“zugeführt werden müssten. Mit relativer Milde wie in der Vergangenheit könne die Bürgerrechtsgruppe jedenfalls nicht rechnen, so befürchten Beobachter in Riad. Sie gehen davon aus, dass mit den Verhaftungen jene Frauen eingeschüchtert werden sollen, die sich im Juni tatsächlich ohne männliche Begleitung ans Steuer setzen wollten. Seit Jahresbeginn wurden die Hürden zur Ausstellung eines Frauenführerscheins stetig erhöht. So müssen Frauen ohne Erfahrung mindestens 90 Fahrstunden absolvieren, drei Mal so viele wie unkundige Männer. Trotzdem konnten sich die Fahrschulen zunächst vor Anfragen kaum retten. Als es dann schließlich auf die Straße ging, erschienen von den 70 angemeldeten Frauen einer Fahrschule in Riad ganze drei, berichten Aktivistinnen. Allen anderen sei von ihren Männern oder Vätern der Besuch der Fahrschule verboten worden.
Erstaunlich ist dies nicht. Denn trotz angekündigter Reformen bleibt das sogenannte Guardianship in Saudi-Arabien weiter in Kraft. Frauen, die verreisen wollen, bestimmte Berufe oder Tätigkeiten ausüben möchten, benötigen weiterhin die Zustimmung ihres Mannes, Vaters oder Bruders.
Für MBS bedeutet das Festhalten am Alten einen Rückschlag. Von Amnesty International muss er sich zu Recht den Vorwurf gefallen lassen, dass „all seine Versprechen inzwischen verpufft“seien. Ganz offensichtlich ist es dem saudischen Kronprinzen nicht gelungen, einen breiten gesellschaftlichen Konsens für einige seiner Reformen zu finden. Vor allem die Aufhebung des Frauenfahrverbots hatten Kleriker als „Freibrief für Prostitution“und andere Laster verurteilt und sich für die „fortgesetzte Tugendhaftigkeit“der saudischen Frauen ausgesprochen.
Autofahren gefährdet die Tugendhaftigkeit