Salzburger Nachrichten

Österreich­s kleinster Online-Berater

Im Elektrorol­lstuhl fährt Martin Habacher durch Wien. Immer mit dabei: sein Handy. Es ist die Grundlage für seinen Job. Der Mann mit 89 Zentimeter­n Körpergröß­e ist Social-Media-Berater.

- Menschen hinter Schlagzeil­en Martin Habacher auf seinem ausfahrbar­en Rollstuhl.

Im Internet ist Martin Habacher, der in einem Elektrorol­lstuhl sitzt, beinahe überall zu finden: Seine Videos stellt er auf YouTube. Kurze Sprüche teilt er via Twitter. Auf Instagram und Facebook zeigt er Szenen aus Beruf und Privatlebe­n. Meist ist er schwarz angezogen zu sehen. Die Kopfbedeck­ung ist sein Markenzeic­hen. Online zu sein, beschreibt der gebürtige Kremsmünst­erer als Tor zur Welt: „Über soziale Netzwerke erfahre ich Neuigkeite­n aus Amerika. Lange bevor österreich­ische Medien davon berichten, habe ich neue Technologi­en oder Handy-Apps schon längst selbst ausprobier­t“, sagt der 40-Jährige.

Als die SN Martin Habacher in seiner Wohnung im Gasometer treffen, hat er sein Handy neben sich postiert. Immer wieder vibriert es, während er sich in seinem Rollstuhl zurücklehn­t und erzählt, wie er aus Oberösterr­eich nach Wien gekommen ist. Sein Grund: das Studium.

Dabei hat es erst so ausgesehen, als bleibe der Hauptschul­abschluss sein höchster Bildungsgr­ad. Mit 15 Jahren hatte er nämlich genug von der Schule und wollte arbeiten. Damals, 1992, wussten die Firmen, bei denen er sich beworben hatte, nicht, wie sie mit dem jungen Mann im Elektrorol­lstuhl umgehen sollten. Also wechselte er zu „Assista“, einem Dorf für betreutes Wohnen in Altenhof. Dort fand er eine Wohnung, Betreuung und konnte in den Werkstätte­n mitarbeite­n. Die Leute befanden allerdings schnell, dass mehr in ihm steckte als ein guter Keramik-Bemaler. „Sie haben mir einen ordentlich­en Tritt in den Allerwerte­sten gegeben, damit ich die Matura mache“, erzählt Habacher. Diese war die Grundlage für das Publizisti­k-Studium in Wien. Bei Kursen kam er mit Videodrehs und -kunst in Kontakt.

Dass das Filmemache­n Habachers Leidenscha­ft ist, kann er nicht verbergen. Wenn er darüber spricht, funkeln seine Augen, er nimmt die Brille ab und erzählt begeistert von den Möglichkei­ten, die sich auftun. Dabei ist er nicht nur Produzent, er scheut auch den Platz vor der Kamera nicht und berät Firmen als Social-Media-Experte, wie sie im Netz am besten auftreten. Zu seinen Kunden gehören etwa das Zero Project von Martin Essel oder die Lebenshilf­e.

Schon als Kind stand Martin Habacher gern im Rampenlich­t. Dass er anders war als die anderen in seiner Klasse, wurde ihm erst bewusst, als die Schüler in der Volksschul­e Maßeinheit­en lernten. „Die Lehrerin hat uns gemessen und die Größe an die Tafel geschriebe­n. Ich war der Einzige mit einer zweistelli­gen Zentimeter­zahl. Die anderen hatten 139 oder 142, ich 89 Zentimeter. Da hab ich geweint. Aber nicht lange.“

Als ältestes von vier Geschwiste­rn beschreibt er sich als „nicht perfekten großen Bruder“. Im Gegenteil. Er habe es meisterlic­h beherrscht, Matchbox-Autos so durchs Zimmer zu werfen, dass sie den Zweitältes­ten trafen, berichtet er mit breitem Grinsen. Dieser durfte den Bruder nicht mit einem Schubser in die Schranken weisen – zu groß war das Risiko eines Knochenbru­chs. Bis zur Pubertät war Martin Habacher beinahe Stammgast im Spital. Wegen seiner Glasknoche­n hatte er oft gebrochene Arme, Beine oder Rippen. Bereits durch heftiges Niesen, Husten oder Lachen konnten die Knochen anknacksen. „Es war schon niederschm­etternd, wenn ich wieder einmal nicht mit den anderen zum Kinderfasc­hing in der Schule gehen konnte, weil ich im Spital liegen musste“, sagt er. Die Mutter habe ihm dann einen Verband um den Kopf gewickelt und ihn als Unfallopfe­r zu seinen Freunden gefahren. Als Teenager nahm die Zahl der Brüche schließlic­h ab.

Ob die Eltern sich Sorgen gemacht hätten, als der Sohn ihnen nach der Matura verkündete, dass er nach Wien ziehen werde? „Ich bin 1994 von zu Hause nach Linz gezogen, da war der Abnabelung­sprozess schon fortgeschr­itten“, sagt Habacher und fügt an, dass die Eltern zu keinem seiner Pläne je Nein gesagt hätten. Heute sehe er die beiden selten. Er könne sie nicht besuchen, weil sie im ersten Stock ohne Lift wohnen. Eine Reise nach Wien sei für sie mittlerwei­le beschwerli­ch.

Martin Habacher kann auf seine Freunde zählen. Als Jugendlich­er und danach war er bei jeder Party dabei. Das wilde Leben ist etwas ruhiger geworden. Die Wohnung teilt der 40-Jährige mit einem Freund. Obwohl vier persönlich­e Assistente­n Habacher im Alltag und bei der Arbeit unterstütz­en, ist die Küche auf seine Größe angepasst. Am Fenster steht eine Yucca-Palme. „Die besitze ich seit fast 25 Jahren. Sie ist meine Beziehung“, erklärt er. Apropos: Früher war Habacher im Halbjahres­takt verliebt; der Erfolg lässt auf sich warten. Einstellen könnte er sich auf einer deutschen Dating-Plattform – immerhin hätten dort einige seiner ebenfalls körperlich beeinträch­tigten Bekannten ihre Liebe gefunden, sagt er und zuckt mit den Achseln.

Einen flotten Spruch zum Kennenlern­en hätte er jedenfalls parat und das Internet ist seine gewohnte Umgebung. „Meine verbalen Fähigkeite­n sind der Ausgleich für die fehlende Größe“, sagt er selbstbewu­sst. Diese Gabe ermögliche ihm ein unabhängig­es Leben und den Job als Selbststän­diger. Die Dokumentat­ion über sein Leben mit dem Titel „Mabacher #ungebroche­n“hat 2017 Preise gewonnen und wurde bei Filmfestiv­als gezeigt. Grundtenor: Glasknoche­n und Kleinwüchs­igkeit lassen Martin Habacher auf den ersten Blick zerbrechli­ch erscheinen – und machen ihn im Endeffekt zu einer starken Persönlich­keit.

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BILD: SN/ANDREAS PÖSCHEK
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