Nun sind auch Frauen mündige Bürger
Schluss mit einem System, das Frauen in Irland jahrzehntelang unterdrückt hat. Das ist die zentrale Botschaft beim Referendum über das Abtreibungsverbot.
Schluss mit einem System, das Frauen in Irland unterdrückt hat. Das ist die zentrale Botschaft beim Referendum über das Abtreibungsverbot.
Sie sangen, jubelten und tanzten: Tausende Menschen haben am Wochenende in Irland den Sieg des Ja-Lagers im Referendum um eine Lockerung des Abtreibungsverbots gefeiert. Mit einer unerwartet deutlichen Mehrheit von 66,4 Prozent hatten sich die Wähler für eine Streichung des achten Verfassungszusatzes ausgesprochen, der Abtreibungen bisher faktisch unmöglich machte.
„Eine stille Revolution hat stattgefunden, ein großartiger Akt von Demokratie“, twitterte der irische Premierminister Leo Varadkar. Die Bürger hätten deutlich gemacht, „dass sie eine moderne Verfassung für ein modernes Land wollen“. Die Abstimmung zeige, dass die Menschen in Irland den betroffenen Frauen trauen und sie in ihrer Entscheidungsfreiheit respektieren, sagte Varadkar einem Fernsehsender. Oppositionsführer Micheál Martin von der Partei Fianna Fáil sprach vom Anbruch einer neuen Zeit. Seine Partei werde sich dem Willen des Volkes nicht entgegenstellen, versicherte er.
Zwei Drittel der Iren haben also Ja gesagt. Das Abtreibungsverbot auf der grünen Insel wird aus der Verfassung gestrichen. Es ist ein längst überfälliger Schritt. Das Gesetz passte schon lang nicht mehr zu diesem liberalen, aufgeschlossenen, vielfältigen Land, das sich seit Jahren von der katholischen Kirche abwendet und Stück für Stück den Einfluss des Klerus auf Staat und Gesellschaft zurückdrängt.
Und was geschieht jetzt in Nordirland?
Erst vor drei Jahren stimmte, für viele Beobachter überraschend, die überwältigende Mehrheit der Iren in einem Volksentscheid für die Einführung der Homo-Ehe. Die Kirche lief Sturm, doch zu viele Skandale waren zuvor ans Licht gekommen, als dass sie dieselbe Autorität darstellen würde wie in der Vergangenheit. Verständlicherweise lassen sich die Menschen in moralischen Fragen nicht länger von ihr belehren – nach all den Missbrauchsfällen von Priestern oder nach den bestürzenden Enthüllungen über die Zustände in jenen Heimen, in denen unverheiratete schwangere Mädchen eingesperrt und ausgebeutet wurden.
Über Jahrhunderte herrschte auf der grünen Insel ein von der Kirche gesteuertes Unterdrückungssystem, das vor allem auf Frauen abzielte. Nun endlich triumphieren sie nach diesem Votum, sie haben die Kontrolle über ihren Körper zurückgewonnen, das Recht auf Selbstbestimmung. Sie werden künftig auch vom Staat als vollständig mündige Bürger betrachtet.
Bei diesem Referendum ging es nicht darum, ob jemand Abtreibungen befürwortet oder ablehnt. Nein, es ging darum, Frauen die Wahl zu geben – und nicht länger ein Problem auszulagern. Hunderttausende Irinnen reisten in den vergangenen Jahren vor allem nach England, oft voller Scham, einsam und traurig, um ihre Schwangerschaft zu beenden. Was auch immer die Beweggründe waren – ob nach einer Vergewaltigung, ob in einer heiklen Lebenssituation oder wegen medizinischer Gründe: Alle kehrten als andere Menschen zurück in ihre Heimat, die ihnen selbst bei Problemschwangerschaften jegliche Hilfe verweigerte.
Wie grausam, Frauen im Grunde als Mörderinnen zu behandeln, wenn die Entscheidung, ein Kind nicht auszutragen, ohnehin hochemotional und schwierig ist. Dazu keineswegs so schwarz und weiß, wie viele Pro-Leben-Aktivisten das suggerieren. Während über Jahrzehnte – der Artikelzusatz wurde erst 1983 eingeführt – Frauen meistens in aller Stille litten, ermutigte diese Volksabstimmung nun Tausende dazu, ihre persönlichen Schicksale zu erzählen, ein Tabu zu brechen. Die Berichte waren niederschmetternd. Gleichzeitig mobilisierten sie die Menschen, diesen unsäglichen Verfassungszusatz zu kippen. Dass etliche Iren aus der ganzen Welt in ihre Heimat flogen, um ihr Kreuz auf den Abstimmungszettel zu setzen, zeigt die Dimension des historischen Votums.
In der Republik wird nun gefeiert, während auf der anderen Seite der Grenze in Nordirland das strikte Abtreibungsverbot weiterhin besteht. Als 1967 in England, Wales und Schottland Schwangerschaftsabbrüche legalisiert wurden, ignorierte die Regionalregierung in dem nördlichen Landesteil schlichtweg das Gesetz. Wegen des Nordirland-Konflikts mischten sich britische Politiker über Jahrzehnte nicht ein und taten so, als ginge es sie nichts an, dass in einem Teil ihres Landes ein frauenverachtendes System herrscht, das Betroffene zwingt, fern von Familie und Freunden ihre Schwangerschaft zu beenden.
Am Wochenende meldeten sich zwar erste Abgeordnete zu Wort und forderten eine Anpassung. Das Abtreibungsverbot dürfte sich trotzdem in naher Zukunft nicht ändern. Nordirland hat derzeit keine funktionierende Regionalregierung, zudem duldet die rückständige und erzkonservative Unionisten-Partei DUP aus Nordirland die Minderheitsregierung von Premierministerin Theresa May.