Auf der Suche nach dem roten Profil
Weniger arbeiten, mehr Europa: SPÖ-Vorsitzender Christian Kern setzt neue Akzente. Und kämpft mit mindestens einem mächtigen internen Widersacher.
All jene, die der SPÖ eine inhaltlich zu wenig kantige, sachlich zu wenig fundierte, für den Wähler zu wenig erkennbare Oppositionspolitik vorgeworfen haben, können aufatmen. In ihrem neuen Programm, dessen Entwurf am Freitag vom Parteivorstand abgesegnet wurde, setzt die von der Regierungsbank gerutschte Sozialdemokratie linke Markierungen – siehe die Forderung nach einer deutlichen Arbeitszeitverkürzung, siehe die Forderung nach einer stärkeren Besteuerung von Kapitalerträgen.
Man muss diese Forderungen keineswegs teilen. Man muss aber anerkennen, dass hier eine Partei versucht, ein neues, schärferes Profil zu gewinnen. Schön für die Wähler, die bei der nächsten Nationalratswahl zwischen mehreren wirklichen Alternativen auswählen können, statt auf dem Wahlzettel ausschließlich mit Parteien konfrontiert zu sein, die sich allesamt in der politischen Mitte zu einem Einheitsbrei formieren.
Dass die SPÖ in ihrem neuen Programm dem Grundsatz „Integration vor Zuwanderung“frönt, zeigt, dass die Partei nicht nur nach links, sondern auch ein Stück weit in Richtung Realität gerückt ist. Die Zeiten, da die Sozialdemokraten Integrationsprobleme wahlweise strikte leugneten oder blauäugig als kulturelle Bereicherung interpretierten, scheinen vorbei zu sein.
Während die Sozialdemokraten in der Zuwanderung nun also offensichtlich einer weitverbreiteten öffentlichen Meinung folgen, ist das in der EU-Politik entschieden nicht der Fall. In einer kürzlich von Parteichef Christian Kern verteilten Kurzinformation zum Parteiprogramm finden sich Sätze wie: „Wir fordern eine massive Aufwertung von EU-Kommission und (EU-)Parlament.“Mündlich lieferte der Parteichef die Forderung nach, dass es darum gehe, „die Macht der (nationalen) Regierungen“zu „redimensionieren“, also zurechtzustutzen.
Diese Haltung steht nicht nur im Gegensatz zu den Zielen der Bundesregierung, die keineswegs ihre eigene Machtfülle, sondern lieber die der EU redimensionieren möchte. Weshalb sie in EU-Fragen das Subsidiaritätsprinzip hochhält und der Union den Grundsatz „weniger, aber effizienter“aufbrummen möchte.
Die SPÖ-Haltung steht auch im Gegensatz zur hiesigen Boulevard-Demokratie, die selbst sinnvollste Vorschläge der EU gern mit der Schlagzeile „Neue verrückte Idee aus Brüssel“niederknüppelt.
Und nicht zuletzt dürfte die SPÖ-Idee, die EU-Institutionen mit mehr Kompetenzen auszustatten, mit den Vorstellungen etlicher Wählerinnen und Wähler kollidieren. Dies legt nicht zuletzt die jüngste Eurobarometer-Umfrage nahe, die die Einstellung der EU-Bürger zur Union untersucht. Demnach ist zwar in Österreich die EU-Stimmung leicht nach oben gegangen, allerdings ausgehend von einem niedrigen Niveau. Nur 45 Prozent können der EUMitgliedschaft etwas Gutes abgewinnen. Noch schlechtere Haltungsnoten erhält die Union nur noch in Griechenland, Italien, Kroatien und Tschechien. In Luxemburg, Deutschland, Irland und den Niederlanden stößt die EU bei rund 80 Prozent der Befragten auf Zustimmung.
Die Frage, ob Österreich von der EU-Mitgliedschaft profitiert habe, wird von 54 Prozent der Befragten bejaht, was immerhin eine Mehrheit ist. Aber dennoch nur der drittgeringste Wert in der gesamten Europäischen Union.
In einer solchen Stimmungslage der Union mehr Kompetenzen zubilligen zu wollen zeugt von einer gewissen Courage der SPÖ, wenngleich ihre Haltung nicht ganz nachvollziehbar erscheint. Einerseits Brüssel stärken zu wollen, sich aber andererseits, Stichwort CETA, an die Spitze der Freihandelsgegner zu stellen passt nicht wirklich zusammen. Aber das SPÖ-Parteiprogramm ist ja noch nicht fertig. Es muss noch einen wochenlangen Diskussionsprozess und einen Parteitag über sich ergehen lassen, und man wird sehen, was von den ursprünglichen Ideen übrig bleibt.
Dass hinsichtlich des Programmentwurfs noch erheblicher Diskussionsbedarf besteht, geht auch aus einem APA-Interview hervor, das der neue Wiener Bürgermeister Michael Ludwig am Wochenende gab. Darin quittierte er den Vorschlag, politische Funktionen zeitlich zu beschränken, mit dem Satz: „Ich persönlich halte nicht viel davon.“
Exakt dieser Vorschlag findet sich aber in Kerns Programmentwurf. Genauer gesagt sollen laut diesem Entwurf Funktionäre, die schon länger als zehn Jahre dienen, nur noch mit einer Zweidrittelmehrheit der jeweils zuständigen Gremien wiederbestellt werden können. Das müsse man „noch diskutieren“, sagt dazu mit merkbarer Distanz der neue Wiener Bürgermeister, der als Chef der mit Abstand größten roten Landesparteiorganisation der gegenwärtig mächtigste Sozialdemokrat im Lande ist.
Parteichef Christian Kern wird noch viel Überzeugungsarbeit nach innen leisten müssen, ehe er daran denken kann, auch nach außen (also die Wählerinnen und Wähler) zu überzeugen.
Auf den Parteichef wartet noch viel Überzeugungsarbeit