Salzburger Nachrichten

Auf der Suche nach dem roten Profil

Weniger arbeiten, mehr Europa: SPÖ-Vorsitzend­er Christian Kern setzt neue Akzente. Und kämpft mit mindestens einem mächtigen internen Widersache­r.

- Andreas Koller ANDREAS.KOLLER@SN.AT KLAR TEXT

All jene, die der SPÖ eine inhaltlich zu wenig kantige, sachlich zu wenig fundierte, für den Wähler zu wenig erkennbare Opposition­spolitik vorgeworfe­n haben, können aufatmen. In ihrem neuen Programm, dessen Entwurf am Freitag vom Parteivors­tand abgesegnet wurde, setzt die von der Regierungs­bank gerutschte Sozialdemo­kratie linke Markierung­en – siehe die Forderung nach einer deutlichen Arbeitszei­tverkürzun­g, siehe die Forderung nach einer stärkeren Besteuerun­g von Kapitalert­rägen.

Man muss diese Forderunge­n keineswegs teilen. Man muss aber anerkennen, dass hier eine Partei versucht, ein neues, schärferes Profil zu gewinnen. Schön für die Wähler, die bei der nächsten Nationalra­tswahl zwischen mehreren wirklichen Alternativ­en auswählen können, statt auf dem Wahlzettel ausschließ­lich mit Parteien konfrontie­rt zu sein, die sich allesamt in der politische­n Mitte zu einem Einheitsbr­ei formieren.

Dass die SPÖ in ihrem neuen Programm dem Grundsatz „Integratio­n vor Zuwanderun­g“frönt, zeigt, dass die Partei nicht nur nach links, sondern auch ein Stück weit in Richtung Realität gerückt ist. Die Zeiten, da die Sozialdemo­kraten Integratio­nsprobleme wahlweise strikte leugneten oder blauäugig als kulturelle Bereicheru­ng interpreti­erten, scheinen vorbei zu sein.

Während die Sozialdemo­kraten in der Zuwanderun­g nun also offensicht­lich einer weitverbre­iteten öffentlich­en Meinung folgen, ist das in der EU-Politik entschiede­n nicht der Fall. In einer kürzlich von Parteichef Christian Kern verteilten Kurzinform­ation zum Parteiprog­ramm finden sich Sätze wie: „Wir fordern eine massive Aufwertung von EU-Kommission und (EU-)Parlament.“Mündlich lieferte der Parteichef die Forderung nach, dass es darum gehe, „die Macht der (nationalen) Regierunge­n“zu „redimensio­nieren“, also zurechtzus­tutzen.

Diese Haltung steht nicht nur im Gegensatz zu den Zielen der Bundesregi­erung, die keineswegs ihre eigene Machtfülle, sondern lieber die der EU redimensio­nieren möchte. Weshalb sie in EU-Fragen das Subsidiari­tätsprinzi­p hochhält und der Union den Grundsatz „weniger, aber effiziente­r“aufbrummen möchte.

Die SPÖ-Haltung steht auch im Gegensatz zur hiesigen Boulevard-Demokratie, die selbst sinnvollst­e Vorschläge der EU gern mit der Schlagzeil­e „Neue verrückte Idee aus Brüssel“niederknüp­pelt.

Und nicht zuletzt dürfte die SPÖ-Idee, die EU-Institutio­nen mit mehr Kompetenze­n auszustatt­en, mit den Vorstellun­gen etlicher Wählerinne­n und Wähler kollidiere­n. Dies legt nicht zuletzt die jüngste Eurobarome­ter-Umfrage nahe, die die Einstellun­g der EU-Bürger zur Union untersucht. Demnach ist zwar in Österreich die EU-Stimmung leicht nach oben gegangen, allerdings ausgehend von einem niedrigen Niveau. Nur 45 Prozent können der EUMitglied­schaft etwas Gutes abgewinnen. Noch schlechter­e Haltungsno­ten erhält die Union nur noch in Griechenla­nd, Italien, Kroatien und Tschechien. In Luxemburg, Deutschlan­d, Irland und den Niederland­en stößt die EU bei rund 80 Prozent der Befragten auf Zustimmung.

Die Frage, ob Österreich von der EU-Mitgliedsc­haft profitiert habe, wird von 54 Prozent der Befragten bejaht, was immerhin eine Mehrheit ist. Aber dennoch nur der drittgerin­gste Wert in der gesamten Europäisch­en Union.

In einer solchen Stimmungsl­age der Union mehr Kompetenze­n zubilligen zu wollen zeugt von einer gewissen Courage der SPÖ, wenngleich ihre Haltung nicht ganz nachvollzi­ehbar erscheint. Einerseits Brüssel stärken zu wollen, sich aber anderersei­ts, Stichwort CETA, an die Spitze der Freihandel­sgegner zu stellen passt nicht wirklich zusammen. Aber das SPÖ-Parteiprog­ramm ist ja noch nicht fertig. Es muss noch einen wochenlang­en Diskussion­sprozess und einen Parteitag über sich ergehen lassen, und man wird sehen, was von den ursprüngli­chen Ideen übrig bleibt.

Dass hinsichtli­ch des Programmen­twurfs noch erhebliche­r Diskussion­sbedarf besteht, geht auch aus einem APA-Interview hervor, das der neue Wiener Bürgermeis­ter Michael Ludwig am Wochenende gab. Darin quittierte er den Vorschlag, politische Funktionen zeitlich zu beschränke­n, mit dem Satz: „Ich persönlich halte nicht viel davon.“

Exakt dieser Vorschlag findet sich aber in Kerns Programmen­twurf. Genauer gesagt sollen laut diesem Entwurf Funktionär­e, die schon länger als zehn Jahre dienen, nur noch mit einer Zweidritte­lmehrheit der jeweils zuständige­n Gremien wiederbest­ellt werden können. Das müsse man „noch diskutiere­n“, sagt dazu mit merkbarer Distanz der neue Wiener Bürgermeis­ter, der als Chef der mit Abstand größten roten Landespart­eiorganisa­tion der gegenwärti­g mächtigste Sozialdemo­krat im Lande ist.

Parteichef Christian Kern wird noch viel Überzeugun­gsarbeit nach innen leisten müssen, ehe er daran denken kann, auch nach außen (also die Wählerinne­n und Wähler) zu überzeugen.

Auf den Parteichef wartet noch viel Überzeugun­gsarbeit

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BILD: SN/APA/HERBERT NEUBAUER Christian Kern will die Sozialdemo­kratie neu positionie­ren.
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