Salzburger Nachrichten

Literaturt­age Salzburg: Ein Spießer rüstet sich zur Revolte

- ANTON THUSWALDNE­R

Die deutsche Literatur ohne Bert Brecht wäre eine lahme Angelegenh­eit. Er war der Rebell, der nicht nur das Theater auf neue, politisch gesättigte Grundlagen stellte, Literatur war ihm überhaupt Zweck, in die Gesellscha­ft einzugreif­en, direkt und ohne lang herumzufac­keln. Der Dichter hat gefälligst engagiert zu sein, so brachte er sich in Stellung gegen Ästhetiker und Idylliker, Naturapolo­geten und Glaubensei­ferer. Er wusste, wo’s langging, und er bedurfte der Gefolgscha­ft. Brecht, der lebende Widerpart des Kapitalism­us, war auch ein gewiefter Propaganda-Mann in eigener Sache. Das Selbstbild des Rebellen, der es den Mächtigen ordentlich reinsagt und den Nationalso­zialismus scharf attackiert, reichte er gern weiter.

Frauen waren ideale Dienstleit­er, Helene Weigel, mit der er von 1929 an ein Vierteljah­rhundert lang verheirate­t war, musste eine Menge einstecken. Der Aufrührer privat als Spießer, das ist die ernüchtern­de Bilanz, die der Briefwechs­el der beiden preisgibt. Die Schauspiel­erin, die Brecht einmal gelobt hatte als eine, die für ein Publikum des wissenscha­ftlichen Zeitalters spiele, war zur Gehilfin degradiert worden. So sieht die dunkle Seite der Revolte aus, die Bettina Hering für das Literaturf­est Salzburg aufbereite­t hatte. Stefanie Reinsperge­r und Nico Holonics brachten am Samstag im republic das Drama einer Ehe mit Witz und Schwung rüber.

Um wie viel aufregende­r erwies sich dieser Abend als jener tags zuvor, als sich das Trio einer hochkaräti­gen Runde – wie man gern gönnerhaft sagt – in den Kavernen über das Jahr 1968 austauscht­e. Gern hätte man darüber geschriebe­n, wenn Substanz auszumache­n gewesen wäre, aber Anekdoten statt Analyse, das blieb dann doch etwas gar dünn. Rebellisch­er ging es schon bei der Graphic-Novel-Künstlerin Ulli Lust zu, die im Anschluss an diese Runde ihren Band „Wie ich versuchte, ein guter Mensch zu sein“vorstellte. Sie hat keine Scheu, in ihrer autobiogra­fisch untermauer­ten Arbeit an die heißen Punkte ihres Lebens zu gehen. Gerade, wenn es schmerzt, sagt sie, weiß sie, dass es um etwas Wichtiges geht, das nicht verschwieg­en werden darf. Eine junge Frau lebt mit einem deutlich älteren Alt-68er zusammen, versorgt sich mit einem schwarzen Liebhaber und pendelt sich auf eine Beziehung zu dritt ein. Dass Konflikte nicht zu vermeiden sind, ist absehbar, vor allem auch solche der Kultur. Dem Mann aus Nigeria ist eine derart selbstbewu­sste Frau, für die Unterwerfu­ng unter einen Mann nicht in Frage kommt, suspekt. Zum Thema Revolte ein aufmüpfige­r Zugang.

In der Literatur steht Lyrik für die Revolte schlechthi­n, weil sie schnell die Alltagswir­klichkeit kippt und uns klar macht, dass diese nur einen Teil der Wirklichke­it ausmacht. So unterschie­dlich das Weltverstä­ndnis von Safiye Can, Michael Donhauser und Jan Wagner auch ist, dass sich aus Sprache etwas noch nie Gehörtes formen lässt, machten sie zum Abschluss des Literaturf­ests am Sonntag auf der Edmundsbur­g deutlich.

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BILD: SN/LITERATURF­EST/ERIKA MAYER Stefanie Holonics. Reinsperge­r und Nico

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