Literaturtage Salzburg: Ein Spießer rüstet sich zur Revolte
Die deutsche Literatur ohne Bert Brecht wäre eine lahme Angelegenheit. Er war der Rebell, der nicht nur das Theater auf neue, politisch gesättigte Grundlagen stellte, Literatur war ihm überhaupt Zweck, in die Gesellschaft einzugreifen, direkt und ohne lang herumzufackeln. Der Dichter hat gefälligst engagiert zu sein, so brachte er sich in Stellung gegen Ästhetiker und Idylliker, Naturapologeten und Glaubenseiferer. Er wusste, wo’s langging, und er bedurfte der Gefolgschaft. Brecht, der lebende Widerpart des Kapitalismus, war auch ein gewiefter Propaganda-Mann in eigener Sache. Das Selbstbild des Rebellen, der es den Mächtigen ordentlich reinsagt und den Nationalsozialismus scharf attackiert, reichte er gern weiter.
Frauen waren ideale Dienstleiter, Helene Weigel, mit der er von 1929 an ein Vierteljahrhundert lang verheiratet war, musste eine Menge einstecken. Der Aufrührer privat als Spießer, das ist die ernüchternde Bilanz, die der Briefwechsel der beiden preisgibt. Die Schauspielerin, die Brecht einmal gelobt hatte als eine, die für ein Publikum des wissenschaftlichen Zeitalters spiele, war zur Gehilfin degradiert worden. So sieht die dunkle Seite der Revolte aus, die Bettina Hering für das Literaturfest Salzburg aufbereitet hatte. Stefanie Reinsperger und Nico Holonics brachten am Samstag im republic das Drama einer Ehe mit Witz und Schwung rüber.
Um wie viel aufregender erwies sich dieser Abend als jener tags zuvor, als sich das Trio einer hochkarätigen Runde – wie man gern gönnerhaft sagt – in den Kavernen über das Jahr 1968 austauschte. Gern hätte man darüber geschrieben, wenn Substanz auszumachen gewesen wäre, aber Anekdoten statt Analyse, das blieb dann doch etwas gar dünn. Rebellischer ging es schon bei der Graphic-Novel-Künstlerin Ulli Lust zu, die im Anschluss an diese Runde ihren Band „Wie ich versuchte, ein guter Mensch zu sein“vorstellte. Sie hat keine Scheu, in ihrer autobiografisch untermauerten Arbeit an die heißen Punkte ihres Lebens zu gehen. Gerade, wenn es schmerzt, sagt sie, weiß sie, dass es um etwas Wichtiges geht, das nicht verschwiegen werden darf. Eine junge Frau lebt mit einem deutlich älteren Alt-68er zusammen, versorgt sich mit einem schwarzen Liebhaber und pendelt sich auf eine Beziehung zu dritt ein. Dass Konflikte nicht zu vermeiden sind, ist absehbar, vor allem auch solche der Kultur. Dem Mann aus Nigeria ist eine derart selbstbewusste Frau, für die Unterwerfung unter einen Mann nicht in Frage kommt, suspekt. Zum Thema Revolte ein aufmüpfiger Zugang.
In der Literatur steht Lyrik für die Revolte schlechthin, weil sie schnell die Alltagswirklichkeit kippt und uns klar macht, dass diese nur einen Teil der Wirklichkeit ausmacht. So unterschiedlich das Weltverständnis von Safiye Can, Michael Donhauser und Jan Wagner auch ist, dass sich aus Sprache etwas noch nie Gehörtes formen lässt, machten sie zum Abschluss des Literaturfests am Sonntag auf der Edmundsburg deutlich.