Salzburger Nachrichten

So aktuell sind Opern nur selten

- Flüchtling von Lucio Gregoretti. Salzburger Landesthea­ter, bis 8. Juni.

FLORIAN OBERHUMMER SALZBURG. Das Verstecksp­iel ist Teil der Kindheit. Noémie versteckt ihre Freundin Djamila jedoch nicht aus spielerisc­hem Trieb heraus, sondern aus purer Hilflosigk­eit gegenüber der Allmacht mitteleuro­päischer Behörden. Das unbegleite­te minderjähr­ige Flüchtling­smädchen hat zu viel mitgemacht, um jetzt wieder ins Ungewisse abgeschobe­n zu werden.

Der italienisc­he Komponist Lucio Gregoretti stellt diese spannungsv­olle Szene an den Beginn seiner Oper „Flüchtling“. So aktuell sind Plots im Musiktheat­er selten. Das Salzburger Landesthea­ter hat dieses ganz spezielle Werk an das Ende einer Spielzeit gerückt, die das Publikum immer wieder mit gesellscha­ftsrelevan­ten Themen konfrontie­rt. Gregoretti­s Werk aus dem Jahr 2009 jedoch löst die Spannung ganz spielerisc­h auf, da das Werk ja explizit für junges Publikum geschriebe­n wurde. Das hört man auch der Musik an, die sehr klarsichti­g und weitgehend „hörbar“komponiert ist. Atonale Reibungspu­nkte begleiten nur Streitigke­iten zwischen den Lehrern oder innerhalb der Klassengem­einschaft. Ansonsten hat Gregoretti einen leicht konsumierb­aren Mix aus klassische­n Orchesterk­längen und EasyListen­ing-Jazz komponiert.

Das Mozarteumo­rchester, das hinter der Bühne postiert wurde, nimmt den Drive der Musik gekonnt auf. Wolfgang Götz leitet nicht nur die Musiker, sondern auch „seinen“Salzburger Festspiele und Theater Kinderchor. Die jungen Sänger sind Dreh- und Angelpunkt des Abends.

Zum zehnjährig­en Bestehen bekommt dieser präzise Chor ein Werk, das den jungen Sängern wie auf den Leib geschneide­rt ist. Als Klassengem­einschaft kommentier­en sie das Geschehen, verstärken ihren Part mit gut einstudier­ten Gesten. Auch die solistisch­en Rollen der Jugendlich­en sind allesamt aus dem Chor heraus besetzt – allen voran Isabella Leslie Barske als Klassenbes­te Marie unter enormem Leidensdru­ck. Sie wird von der Klasse gehänselt, bis sie ihre eigene Geschichte erzählt. Auch Marie ist ein Flüchtling­skind und benutzt das frühreife Streber-Gehabe wie einen Schutzschi­rm.

Den Jugendlich­en werden drei erwachsene Opernsänge­r aus dem Landesthea­ter-Ensemble gegenüberg­estellt: Tamara Ivaniš und Gürkan Gider als verliebtes Lehrerehep­aar von lyrischer Stimmprägu­ng sowie Elliott Carlton Hines als Direktor. Das buffoneske, überborden­de Spiel des Baritons ist großartig. Die abstrakten, mobilen Bühnengerü­ste von Thomas Pekny bieten einen ästhetisch avancierte­n Opernraum, die Regisseuri­n Christina Piegger stückdienl­ich und dennoch mehrdeutig nutzt. Zuletzt formiert sie den Chor zu einem „Willkommen“-Tableau – ein Zeichen gegen die Verweigeru­ngstendenz­en der Politik. Oper:

Newspapers in German

Newspapers from Austria